Am 30. und 31. Mai 2022 veranstaltete die Leibniz-Gemeinschaft ihren 4. China Day. Die Veranstaltungsreihe findet seit 2018 jährlich statt. Die Kooperation mit China im Bereich Wissenschaft und Technologie stand im Zentrum der hybriden Veranstaltung, die souverän von Almuth Wietholtz moderiert wurde, bei der Gemeinschaft zuständig für Internationales.
Die Publizistin Didi Kirsten Tatlow zeichnete im ersten Beitrag gleich ein düsteres Bild davon, wie die KP Chinas strategisch Technologie aus dem Ausland beschafft und sie für die eigenen, zum Teil auch militärischen Zwecke einsetzt. Die deutschen Wissenschaftler*innen kamen dabei nicht gut weg. Sie seien in der Kooperation mit China zu naiv und merkten nicht, wie die chinesische Seite sie ausnützt und einseitig Technologie, auch sensible Innovationen, absaugt. Mareike Ohlberg vom German Marshall Fund argumentierte in ihrem anschließenden Kommentar ähnlich und warnte davor, dass die chinesische Seite einseitig von Technologiekooperationen profitiere und das Interesse an jeglicher Kooperation sofort verlieren werde, sobald der eigene Bedarf an technologischen Innovationen gedeckt ist.
Ökonom Philip Böing (ZEW) gab einen fundierten Überblick über den aktuellen Stand von Wirtschaft und Innovation in der VR China. Das Land habe aktuell Probleme, sein Wirtschaftswachstum wieder anzukurbeln; in punkto Innovationspolitik sei das Land vor allem aufgrund umfangreicher staatlicher Subventionen und gut ausgebildeter Manpower sehr erfolgreich; in Sachen Innovationsoutput und Effizienz der eingesetzten Mittel in Forschung und Entwicklung sei Chinas Potential jedoch noch nicht ausgeschöpft.
Matthias Stepan (Stiftung Mercator und Ruhr-Universität Bochum) plädierte dafür, den Dialog mit China weiterhin zu suchen. Er wies darauf hin, dass es bei aller Vorsicht nicht zu viele Vorgaben für die wissenschaftliche Kooperation geben dürfe, und dass wir in der Kooperation mit China lernen müssten, besser zu verhandeln – auch wenn dies gelegentlich den Abbruch von einzelnen Projekten zur Folge haben könnte.
Professor Günther Tränkle, Direktor des Ferdinand-Braun-Institut für Höchstfrequenztechnik, unterstrich – aus der Perspektive des praktizierenden und mit China kooperierenden Wissenschaftlers – dass trotz aller Sicherheitsvorkehrungen der technologische Fortschritt nicht aufzuhalten sei. Zudem habe sich auch unser Verhältnis zu China verändert. Anfänglich baten die chinesischen Partner westliche Länder noch um Technologie, später um Unterstützung. Heutzutage ist es der Westen, der in manchen Bereichen sehr daran interessiert ist, dass die chinesische Seite ihr fortschrittliches Wissen teilt. Abschließend wies der Physiker darauf hin, dass sich wissenschaftliche Innovation oft gerade erst aus der Kooperation ergebe. Sein Kommentar war insgesamt ein Plädoyer für die immense Bedeutung der Kooperation mit China für den deutschen Wissenschaftsstandort.
Anschließend analysierten zwei US-amerikanische Sicherheitsexperten die europäisch-chinesischen Wissenschaftskooperationen: Anna Puglisi, (Direktorin für Biotechnologie-Programme am Georgetown Center für Sicherheit und neue Technologien (CSET) und Expertin für Spionageabwehr in Ostasien) und Jeffrey Stoff, ehemals Berater verschiedener US-Regierungsbehörden in Fragen der nationalen Sicherheit und aktuell Anbieter für Dienstleistungen zum Schutz von Forschungsdaten und -ergebnissen. Beide betonten nacheinander und aus verschiedenen Perspektiven die Gefahren der wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit chinesischen Partnern, insbesondere für die nationale Sicherheit. Dabei wurde auch auf diesbezügliche Erkenntnisse des Australian Strategic Policy Institute (ASPI) Bezug genommen. Das ASPI hatte vor drei Jahren auf die militärisch-zivile Identität der sogenannten „Seven Sons“ hingewiesen. Dabei handelt es sich um sieben chinesische Universitäten, die organisatorisch mit der nationalen Verteidigung der VR China zusammenhängen und teilweise in Forschungskooperationen mit ausländischen Universitäten involviert sind.
Armin Reinartz, Abteilungsleiter für europäische und internationale Zusammenarbeit in Bildung und Forschung im BMBF, schloss mit einem kurzen Grußwort den ersten Tag ab. Er fasste den Ansatz seines Hauses in Bezug auf China in drei Punkten zusammen. Erstens sei es elementar, die chinesischen Partner gut zu kennen, zweitens müsse man die eigenen Werte klar identifizieren, drittens schließlich seien die Risiken der Kooperation jeweils genau abzuwägen. Wissenschaftsdiplomatie sei aktuell politisierter denn je, und für Deutschland sei es wichtig, sich einen genauen Überblick über die eigenen Abhängigkeiten zu anderen Ländern zu verschaffen. Generell will die Bundesregierung die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten internationalen Partnern ausbauen. Bekanntlich arbeiten die verschiedenen Ressorts aktuell gemeinsam eine nationale Sicherheits- und eine Chinastrategie aus, die diese Punkte ausbuchstabieren soll.
Zusammengefasst vermittelte der erste Tag somit das Bild einer deutsch-chinesischen Wissenschaftskooperation, deren (sicherheits-)politisches Gefahrenpotential noch nicht genügend im Bewusstsein aller deutschen Beteiligten verankert ist. Lediglich die Vertreter der wissenschaftlichen (Austauschs-)Praxis wiesen darauf hin, dass erstens die Beteiligten auf deutscher Seite inzwischen für die Gefahren der Kooperation sensibilisiert seien, und zweitens, dass die Zusammenarbeit längst nicht mehr nur einseitig die Interessen der chinesischen Wissenschaftler*innen bediene, sondern mindestens ebenso für die deutsche Seite bedeutsam sei.
Der zweite Tag fand offline statt. Gerold Heinrichs und Sabine Puch vom DLR stellten ihre Arbeit zum Aufbau von Chinakompetenz in Deutschland vor und verwiesen auf die vielen hilfreichen Produkte und Dienstleistungen, die sie für die Forschungseinrichtungen bereitstellen. Alexandra Rosenbach von der Helmholtz-Geschäftsstelle präsentierte anschließend eine interne Ausschreibung für Projekte zur Verbesserung der Handlungssicherheit in der internationalen Wissenschaftskooperation der Helmholtz-Zentren. Ludwig Stroink und Melanie dos Santos Mendes zeigten zwei Lösungskonzepte, die sich erfolgreich in dem Ausschreibungsverfahren durchgesetzt hatten.
In der anschließenden Diskussion wurden einige der kritischen Punkte des Vortages aufgegriffen und aus der Sicht der praktizierenden Wissenschaft neu bewertet. Die verschiedenen Vertreter*innen der Wissenschaftsorganisationen sahen die eigene Kooperation mit chinesischen Partnerorganisationen weit weniger naiv als es die politischen Beobachter getan hatten. Inzwischen seien die Forschenden durch die öffentliche Debatte und interne Informationsangebote über die politischen Rahmenbedingungen der internationalen Kooperationen besser informiert. Für sie bleibt der beiderseitige Nutzen solcher Kooperationen im Interesse des wissenschaftlichen Fortschritts weiterhin sehr bedeutsam.
Der Tag wurde mit einem Schlusswort von Alexander Roth abgerundet, dem stellvertretenden Leiter des Referats bilaterale und EU-Beziehungen zu China im Auswärtigen Amt. Er fasste die aktuelle Chinapolitik der Außenministerin Baerbock kurz zusammen und nahm Bezug auf den bekannten Dreiklang – China als Partner, Konkurrent und Systemrivale. Leider konnte er noch keine verbindliche Aussage zu Inhalt und Erscheinungszeitpunkt der nationalen China-Strategie machen.
Der eineinhalbtägige China Day der Leibniz Gemeinschaft in Berlin-Adlershof hat somit insgesamt ein recht ausgewogenes Bild der Herausforderungen und Chancen der Kooperation mit China in Wissenschaft und Technologie vermittelt. Die Wissenschaft hat inzwischen ihr Bewusstsein geschärft, was die Bedeutung von Datenschutz, dual-use und andere Risiken der Zusammenarbeit angeht. Gleichzeitig ist die Bedeutung der Wissenschaftskooperation mit der VR China aktuell von sehr großer Bedeutung für die Forschung hierzulande. Abkopplung ist in diesem Bereich offenbar keine Option.
Info:
Agenda des 4. China Day: https://api.china-bw.net/uploads/cnbw-web/originals/e359f6ec-26a7-418e-bcdb-b4b8823306d3.pdf
Almuth Wietholtz (2021) https://www.leibniz-magazin.de/alle-artikel/magazindetail/newsdetails/dornroeschen-schlaegt-die-augen-auf
Hannas, W.C., & Tatlow, D.K. (Eds.). (2020). China’s Quest for Foreign Technology: Beyond Espionage (1st ed.). Routledge. https://doi.org/10.4324/9781003035084
ASPI Recherche: https://www.aspi.org.au/report/china-defence-universities-tracker
*Dr. Katja Levy ist Politikwissenschaftlerin und Sinologin. Sie war bis 2019 Juniorprofessorin an der FU Berlin und arbeitet zurzeit an einem Forschungsprojekt an der University of Manchester.