OLD CHINA HAND I Marcus Hernig – Autor, Berater, Dozent

China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn Letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine Old China Hand vorgestellt: Marcus Hernig (54).

Er ist ein Pendler zwischen den Welten, zwischen Ost und West. Corona hat ihn allerdings vorübergehend sesshaft gemacht. Marcus Hernig sitzt schon seit mehr als zwei Jahren in seinem Häuschen in Hallenberg, einem kleinen Städtchen im Hochsauerlandkreis. Von dort aus unterrichtet er Studenten an der Shanghai University for Science and Technology, schreibt Artikel und Bücher und wartet darauf, bald wieder nach China reisen können, weil dort ein neuer Job auf ihn wartet.

Seit über 35 Jahren ist China sein Thema. Der gebürtige Dortmunder studierte an der nahen Ruhr-Uni in Bochum Sinologie, Germanistik und Geschichte. „Ich bin keiner dieser reinrassigen Sinologen, mich haben immer auch Geschichte und Geographie interessiert“, sagt Hernig. 1992 kam er im Rahmen eines Auslandsjahres während des Studiums erstmals nach China, nach Nanjing und Shanghai. Letzteres sollte später lange Zeit seine zweite Heimat werden. Nach der Promotion fing er im März 1998 am Chinesisch-Deutschen Hochschulkolleg an der Tongji Universität an. Das war damals ein Vorzeigeprojekt der deutschen Regierung, die über diese Schiene chinesische Uni-Absolventen für deutsche Unternehmen rekrutieren wollte. Hernig unterrichtete diese Hoffnungsträger in Deutsch. Fünf Jahre machte er das, dann wechselte er 2003 nach Shanghai ins damals neu gegründete Goethe-Institut (das zu der Zeit noch nicht so heißen durfte) in Shanghai. Er wurde dort Leiter Bildungskooperation. Schwerpunkt seiner Tätigkeit war die Promotion von Deutsch-Unterricht an Schulen. 2007 machte er sich selbstständig, lehrte einmal die Woche an der Zhejiang Universität in Hangzhou Deutsch und ließ sich von deutschen Firmen für interkulturelles Training buchen. Ob Bayer, BMW oder Siemens – „es gab damals jede Menge Aufträge“, sagt Hernig. Bis sich bei ihm „eine gewisse China-Müdigkeit“ bemerkbar machte. Er wollte mal in ein anderes asiatisches Land. Er bewarb sich für eine DAAD-Stelle in Indien, was nicht klappte. Stattdessen landete er in Japan. In der alten Kaiserstadt Kyoto eröffnete 2011 das Goethe-Institut die Villa Kamogawa, eine Künstlerresidenz nach Vorbild der Villa Massimo in Rom. Hernig wurde Leiter der Villa Kamogawa. Es war für ihn zu Beginn keine einfache Zeit: „Ich bin mit der chinesischen Schnelllebigkeit herangegangen – und stieß auf japanisches Beharrungsvermögen.“ Aber er arrangierte sich und bedauerte schließlich, dass er die leider nur befristete Stelle nach drei Jahren wieder verlassen musste: „Ich wäre gerne länger geblieben.“ Er ging 2014 zurück nach Shanghai: „Ich fiel zunächst mal in ein Loch“. Dort schrieb er das Buch „Chinas Bauch“, wo er in sieben Gefühlen – von Freude bis Gier – China erklären wollte. Es war nicht sein erstes Buch. Schon vorher hat er „China – ein Länderporträt“ (2008, Ch. Links Verlag) und „Eine Himmelsreise – China in sechs Gängen“ (2012, Die Andere Bibliothek) geschrieben. Soeben hat er ein Werk über den deutschen Geographen Ferdinand von Richthofen abgeschlossen, der Mitte des 19. Jahrhunderts der Seidenstraße den Namen gab.  Das Buch wird im Sommer bei „Die Andere Bibliothek“ erscheinen. Da man aber vom Bücherschreiben nicht leben kann, unterrichtet er nach wie vor an der Shanghai University for Science and Technology – seit Corona-Zeiten per Video aus Hallenberg.

Ab 1. August wird er allerdings einen neuen Job antreten. Er wird dann Stefanie Schmitt beerben, die jahrelang für German Trade & Invest (GTAI) aus Beijing über das chinesische Wirtschaftsleben berichtet hat und seit kurzem in Chile stationiert ist. Aber mit einem physischen Wechsel im Sommer wird es wohl wegen Corona noch nichts werden. Marcus Hernig wird deshalb anfangs aus Hallenberg Chinas Wirtschaft beobachten. „Vielleicht kann ich zum Jahresbeginn nach Beijing wechseln, aber mein Häuschen hier werde ich behalten“, sagt der Pendler zwischen den Welten.

No Comments Yet

Comments are closed