Am letzten Tag des Weltwirtschaftsforums in Davos sprang noch Olaf Scholz auf die Bühne und hielt eine Rede. Unter den Zuhörern war auch VW-Chef Herbert Diess. Kurz danach verkündete er via Linkedin: „Ich kann das alles unterschreiben. Vielen Dank, Herr Bundeskanzler, für diese Rede. Für mich die wichtigste Rede beim WEF22.“ Und dazu stellte er ein Foto mit sich und dem Bundeskanzler. Was hat denn Scholz Bedeutendes gesagt, dass Diess sich so dankbar zeigte?
Scholz hat sich zum einen gegen die vermehrt auftretenden Forderungen nach Deglobalisierung und Decoupling – vor allem von China – gewandt: „Die Deglobalisierung ist ein Holzweg! Sie wird nicht funktionieren.“ Außerdem betonte er die Bedeutung Chinas: „Natürlich ist China ein globaler Akteur – wieder, sollte man hinzufügen, denn historisch gesehen war das ja über weite Strecken der Weltgeschichte immer der Fall. Aber genauso wenig wie daraus die Notwendigkeit folgt, China zu isolieren, lässt sich daraus der Anspruch chinesischer Hegemonie in Asien und darüber hinaus ableiten.“
Wie mit China, wie mit Autokratien umgehen, war in Davos ein großes Thema. Und das ist es auch in der deutschen Politik und auf den Vorstandsetagen deutscher Unternehmen, vor allem nach der Veröffentlichung der Xinjiang Papers. Immer mehr Politiker fordern, dass die deutschen Firmen ihr China-Engagement überdenken. Insbesondere die Grünen melden sich kritisch zu Wort. So Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann vor der Mitgliederversammlung Südwestmetall: „Wir müssen uns fragen, ob wir nicht zu naiv waren gegenüber Systemrivalen“. Letzteres ist ein Synonym für China. das Gebot der Stunde – so Kretschmann – sei Diversifizierung. Viel deutlicher wurde der grüne Abgeordnete Anton Hofreiter, der fordert, dass Deutschland sein Wirtschaftsmodell überdenken müsse. Laut „Spiegel“ sagte er: „Überspitzt gesagt, fußt der deutsche Wohlstand doch darauf, dass wir in einer Diktatur, Russland, billige Rohstoffe einkaufen, dann hier Produkte herstellen – um sie dann der anderen Diktatur, China, zu verkaufen. Dass muss aufhören.“ Etwas diplomatischer drückt sich qua Amt Wirtschaftsminister Robert Habeck aus. Er ließ am 24. Mai mitteilen: „Es ist seit langem klar, dass China zwar ein großer Handelspartner ist, es aber sehr relevante Probleme gibt, auch bei der Einhaltung von Menschenrechten. Das wurde jahrelang ausgeblendet. Diese Regierung hat den Umgang mit den China-Fragen aber verändert. Wir diversifizieren uns stärker und verringern unsere Abhängigkeiten auch von China.“ Diversifizierung sei – so auch Kretschmann – „das Gebot der Stunde“. Also künftig statt mit China mit anderen Ländern und Regionen Geschäfte machen. Aber das kann die Politik nicht verordnen. Sie kann zwar durch Handelsabkommen oder Verweigerung von Hermes-Krediten die Handels- und Investitionsströme etwas beeinflussen, aber letztendlich entscheiden in unserem Wirtschaftssystem die Unternehmen, wo sie investieren wollen. Deshalb ist es wichtig zu wissen, wie in der Wirtschaft über China unter den neuen Bedingungen (Ukraine-Krieg, Xinjiang Papers) gedacht wird. Da fällt zunächst auf, dass die Wirtschaftsverbände und die Unternehmen unterschiedlich ticken. Verbände wie der BDI oder der VDMA sind näher an den politischen Wunschvorstellungen, die Unternehmen näher an der wirtschaftlichen Realität. So ergab eine Umfrage der FAZ unter baden-württembergischen Unternehmen ein klares Bild: Sie wollen sich nicht aus China zurückziehen. Stellvertretend sei hier der Kommentar des Maschinebauers Trumpf zitiert: „Wir haben keine strategischen Überlegungen, das Geschäft in China zu verringern oder in andere Staaten auszulagern.“ Daimler lässt ausrichten: „Wir wollen unsere lokalen Aktivitäten (in China) auch in Zukunft weiter ausbauen.“
Dieses Festhalten am China-Geschäft heißt freilich nicht, dass die Unternehmen den zunehmenden politischen Druck ignorieren. Auf den Vorstandsetagen macht man sich sehr wohl Gedanken und entwickelt Szenarien, falls sich der Druck aus der Politik (und nicht zu vergessen aus den Medien) erhöhen sollte und möglicherweise gar Sanktionen gegen China verhängt werden. Eine Alternative ist die Local-for-Local-Strategie, das heißt: man produziert in chinesischen Werken für den chinesischen Markt.
Immer mehr Unternehmen denken in diesen Kategorien, zumal sie sich dadurch auch von den internationalen Lieferketten unabhängiger machen.
Die China-Diskussion ist bei vielen Unternehmen erst am Anfang. Sie wird jedoch zunehmen. Auch hier bei CHINAHIRN. In der nächsten Ausgabe ist ein Gespräch dazu mit Joachim Lang, dem scheidenden BDI-Hauptgeschäftsführer, geplant. Er hat gerade zusammen mit BDI-Chef Siegfried Russwurm bei Herder ein Buch veröffentlicht zu dem Thema: „Wie soll die Wirtschaft mit Autokratien umgehen?“
Info:
Scholz-Rede in Davos: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/rede-von-bundeskanzler-scholz-anlaesslich-des-jahrestreffens-des-world-economic-forum-am-26-mai-2022-in-davos-2044026