WIRTSCHAFT I Decoupling: ENATO und andere Ideen

Apple lässt einen Großteil seiner Produkte in China produzieren. Und gleichzeitig ist China für den Konzern aus Kalifornien auch einer der wichtigsten Märkte. Gerade hat Apple dort wieder die Spitzenposition bei Smartphones erobert. Apple ist also doppelt von China abhängig – in der Produktion und im Verkauf. Man kann sich vorstellen, was ein Verzicht auf China als Produktionsstandort und Absatzmarkt für Apple bedeuten würde – einen möglicherweise existenzgefährdenden Einbruch des Geschäfts.

Aber genau das forderte Clyde Prestowitz bei einer Anhörung am 14. April vor der U.S. China Economic and Security Review Commission (USCC). Prestowitz ist Ökonom, Asien-Kenner und war einst Berater im US-Handelsministerium. In seinem Testimonial vor dem USCC brachte er eine „Economic Nato (ENATO)“ in die Diskussion. Für die Länder dieses Konstrukts – NATO-Staaten plus Japan, Korea, Australien, Neuseeland – sollte gelten: Kein Handel mit und keine Investitionen mehr in China in ausgewählten Branchen. Starbucks und Nestlé dürften noch Geschäfte in China machen, konzediert Prestowitz, „but all the ENATO members would have to refrain from any significant dependence on China for things like advanced telecommunications equipment, semiconductors, robotics, and essentially all advanced technology products and services.” Danach müsste Apple seine Produktion in China beenden. Außerdem – so Prestowitz – sollten sehr strenge Regeln für Banken und Funds gelten, die in China investieren wollen.

Das forderte auch Nazak Nikakhtar, der nach Prestowitz auf dem Hearing redete. Der Jurist und ehemalige Berater im US-Handelsministerium plädierte für eine stärkere Überwachung amerikanischer Investitionen in China und einen Rückzug amerikanischer Firmen aus China, der seiner Meinung nach für die Unternehmen zu verkraften sei: „Indeed, any revenue lost from sales to the PRC may be replaced (and even augmented) by increasing sales within the United States and to nations of allies. It makes no sense to invest in the supply chains of an adversary instead of our own. We must build our own supply chains, as well as our allies’, in order to achieve much-needed redundancies in our most critical supply lines.”

Diese Gedanken von Prestowitz und Nikakthar haben längst auch das politische Washington erreicht. Einen Tag vor dem USCC-Hearing hatte bereits Finanzministerin Janet Yellen vor The Atlantic Council eine Rede mit ähnlichem Tenor gehalten. Sie benutzte zwar nicht das Wort ENATO, aber sie sprach von „friend-shoring“, also dem verstärkten Handelstaustausch unter befreundeten Nationen: “Favoring the friend-shoring of supply chains to a large number of trusted countries, so we can continue to securely extend market access, will lower the risks to our economy as well as to our trusted trade partners.”

Ist das bislang nur eine amerikanische Diskussion? Nein, sie ist auch nach Deutschland übergeschwappt. Beim Ludwig-Erhard-Gipfel in Gmund am Tegernsee rief Finanzminister Christian Lindner, Corona-bedingt aus Washington zugeschaltet, die deutschen Unternehmen auf, sich international breiter aufzustellen und weniger auf China zu fokussieren. Diese sehr starke Bilateralisierung des Verhältnisses zwischen der Exportnation Deutschland und China sei nicht gesund. Er sei nicht dafür, deutsches Engagement in China zu reduzieren, stellte er klar. „Aber ich bin sehr dafür, dass in den USA, Kanada, im Mercosur-Raum, in den Asean-Staaten Deutschland stärker seine wirtschaftlichen Chancen sucht.“

Der Liberale setzt also auf freiwillige Um- oder Neuorientierung der deutschen Unternehmen. Öffentlicher Druck könnte dabei etwas nachhelfen, meinen die Experten des Mercator Institute for China Studies (Merics). Chef Mikko Huotari sagte in einem SZ-Interview: “Wir brauchen eine viel stärkere Transparenz auf Unternehmensebene mit Blick auf deren Verflechtung mit China oder autokratischen Staaten generell.“ Merics-Wirtschaftsexperte Max J. Zenglein fordert: “New tools with which to assess their exposure to authoritarian markets – and most importantly China – are needed.” In den Pflichtveröffentlichungen (Jahres- und Quartalberichten) der Unternehmen sollten die Unternehmen angeben, wie stark sie in China engagiert sind.

Aber wie soll das in praxi aussehen? Wer stellt diese Liste der autokratischen Länder auf? Das Kanzleramt, der Wirtschaftsminister, die OECD, die Nato? Was ist überhaupt ein autokratischer Staat? Zählen der Nahe und Mittlere Osten (Qatar! Saudi-Arabien!) dazu? Was wäre mit den USA unter einem wiedergekehrten Trump oder einem seiner Adjutanten? Was ist mit den Asean-Staaten (in die ja Lindner diversifizieren will) Vietnam, Kambodscha, Laos, Myanmar, Thailand, Malaysia und – ja- auch Singapur? Und es stellen sich weitere Fragen: Wann sind Unternehmen abhängig? Bei 30 Prozent Umsatzanteil Chinas, oder mehr oder weniger? Wer legt diese Schwellen fest? Und werden die Unternehmen bei Überschreiten sanktioniert? Von wem und in welcher Form?

Fragen über Fragen. Wo sind die Antworten?         

Info:

Das Testimonial von Clyde Prestowitz: https://www.uscc.gov/sites/default/files/2022-04/Clyde_Prestowitz_Testimony.pdf

Und hier das Testimonial von Nazak Nikakhtar: https://www.uscc.gov/sites/default/files/2022-04/Nazak_Nikakhtar_Testimony.pdf

Die Rede Janet Yellens (und die anschließende Diskusdon) vor The Atlantic Council ist hier nachzulesen: https://www.atlanticcouncil.org/news/transcripts/transcript-us-treasury-secretary-janet-yellen-on-the-next-steps-for-russia-sanctions-and-friend-shoring-supply-chains/

Der Vorschlag von Max Zenglein ist hier: https://merics.org/en/opinion/battered-russia-companies-need-be-more-transparent-about-risks-china

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