WIRTSCHAFT I Decoupling: die Diskussion geht weiter

Die Diskussion um die wirtschaftliche Abhängigkeit von China geht weiter und wird noch intensiver. Dabei geht es gar nicht mehr um die Frage, ob die deutsche Wirtschaft von China abhängig ist, sondern darum, wie man diese Abhängigkeit verringern kann. Vor allem aus der Politik, der Wissenschaft und den Thinktanks kommen dazu Vorschläge. Darunter gut gemeinte, aber auch schlecht durchdachte. Warum die Debatte gerade jetzt? Weil uns in Folge des Ukraine-Krieges die Abhängigkeit von russischer Energie brutal deutlich geworden ist. Ähnliches soll uns bei China nicht auch noch passieren.  Finanzminister Christian Lindner in einem Zeit-Interview: „Es sind Abhängigkeiten entstanden, die wir hinterfragen müssen.“ Zum einen bezieht Deutschland viele Vorprodukte und auch Rohstoffe (Seltene Erden!) aus China, zum anderen sind viele deutsche Unternehmen (Autoindustrie!) stark in China engagiert. All dies ist in Gefahr, wenn zum Beispiel China auf Wunsch der USA sanktioniert wird, weil es Russland hilft oder Taiwan drangsaliert. Wirtschaftssanktionen sind seit Trump die modernen Waffen. Aber anders als die „richtigen“ Waffen treffen Sanktionen auch die, die sie anwenden. Gerade eine Exportnation wie Deutschland wäre gravierend betroffen, denn auf westliche Sanktionen wird China mit Gegensanktionen antworten, zum Beispiel die deutschen Autobauer, in welcher Form auch immer, bestrafen. Wie kann man sich dagegen wappnen, Herr Lindner? Soll die deutsche Wirtschaft raus aus China? „Nein, es geht nicht darum, Werke in China zu schließen. Es geht mir eher darum, dass wir woanders welche aufbauen.“ Die Stichworte hierzu haben alle einen englischen Namen und heißen: Reshoring, Nearshoring (oder auch: China Plus One) und Friendshoring. Beim Reshoring wird die Produktion von China ins Heimatland (zurück)verlagert, beim Nearshoring weicht man mit Teilen der Produktion in benachbarte asiatische Länder aus (besonders beliebt: Vietnam), und beim Friendshoring produziert man nur noch in befreundeten, also demokratischen Ländern. Alle Alternativen haben ihre Tücken und werfen Fragen auf. Zum Beispiel beim Reshoring: Welche Industrien sollen wieder in Deutschland produzieren? Wer entscheidet das – die Politik oder der Unternehmer? Wie teuer werden dann die hierzulande produzierten Waren? Kann man dann von hier noch nach China exportieren? Beim Nearshoring: Welche Länder kommen da in Frage, und haben diese überhaupt das dazu nötige Know How und Personal (siehe dazu unter Info auch die Analyse von Rita Rudnik)? Beim Friendshoring: Wer sind diese befreundeten Staaten? Nur der Westen plus Japan, Korea, Indien und Australien? Und würde eine USA unter Trump (oder einem Präsidenten von seinen Gnaden) dazugehören – wo doch Trump einst Daimler & Co. als Bedrohung der nationalen Sicherheit betrachtete? Fragen über Fragen, die sich auch die deutschen Manager und Unternehmer stellen.

Nicola Leibinger-Kammüller, Chefin des Maschinenbauers Trumpf, fragt in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung: „Können wir ausschließlich Geschäfte mit Staaten machen, die unser Wertesystem in sämtlichen Punkten teilen?“ Die Antwort gibt sie ein paar Sätze später selbst: „Trumpf braucht den chinesischen Markt.“ Und: „Ohne China wird es eng im produzierenden Gewerbe in Deutschland.“ Die stets politisch denkende Leibinger-Kammüller ist eine der wenigen deutschen Manager und Managerinnen, die sich öffentlich zu der China-Frage äußert. Sie sieht die Forderungen der Politik, weiß aber auch um die wirtschaftlichen Notwendigkeiten: „Das ist ein unternehmerisches Dilemma und bereitet mir schlaflose Nächte.“

Info:

Die Analyse von Rita Rudnik ist hier: https://macropolo.org/analysis/supply-chain-diversification-quitting-china-is-hard/

Eine aktuelle Ifo-Studie analysiert die deutsch-chinesischen Handelsbeziehungen: https://www.ifo.de/DocDL/sd-2022-04-baur-flach-deutsch-chinesische-handelsbeziehungen.pdf

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