POLITIK I Lockdown in Shanghai – der Unmut wächst

Shaun Rein lebt seit über 20 Jahren in Shanghai. Der Amerikaner ist Buchautor ((„The End of Cheap China“) und Chef des Beratungsunternehmens China Market Research Group (CMR). Er ist bislang mit seinen Kommentaren eher als China-Freund aufgefallen. Umso überraschender sein Linkedin-Kommentar am 3. April: “The lockdown in Shanghai was chaotic, poorly planned and caused panic and then food hording.”  In ähnlichem Tenor äußerte er sich in den TV-Sendern BBC und CBS. Das brachte ihm viele Hass-Kommentare von national gestimmten Chinesen ein. Aber er sagt: „The truth is the truth.“ Und die Wahrheit ist nun mal, dass Shanghai in den vergangenen Wochen chaotische Tage erlebt hat.  

Shaun Reins Einschätzung ist keine singuläre Meinung. Ich habe in den vergangenen Tagen mit mehreren Expats in der Wirtschafts- und Finanzmetropole gesprochen. Angst und Frust, Unverständnis und Zukunftssorgen waren die Vokabeln, die mir dabei am häufigsten entgegenkamen. Dabei sind fast alle, die ich gesprochen habe, dem Land eigentlich wohlgesonnen. Diesen Vertrauenskredit verspielt nun die Führung grundsätzlich durch ihre harte Null-Corona-Politik, ganz besonders aber durch  das Handling des Lockdowns in Shanghai.

Seit dem 28. März ist die 25-Millionen-Metropole im Lockdown. Erst wurde für vier Tage der Ostteil Pudong gesperrt, anschließend der Westteil Puxi. Und danach die ganze Stadt. Anfang der Woche gab es erste zaghafte Lockerungen.  Unmittelbar vor dem Lockdown kam es zu massiven Hamsterkäufen, in den Supermärkten kam es zu körpernahen Rangeleien. Nach Verhängung des Lockdowns hatten viele Bewohner Probleme, an Lebensmittel zu kommen. Sie standen früh auf, um morgens um 6 Uhr die ersten Online-Bestellungen aufzugeben. Weil Millionen die gleiche Idee hatten, war das Durchkommen eher ein Glücksspiel. Wer bei den täglichen Tests positiv getestet wurde, landete in den eilends auf dem Messegelände errichteten Massenunterkünften, wo die Ansteckungsgefahr garantiert war. Kleine Kinder wurden dabei von ihren Eltern getrennt. Chronisch Kranke warteten vergeblich auf ihre Medizin. In Altenheimen starben Menschen. Tiere von Infizierten wurden erschlagen. Szenen, die man bislang nicht kannte, und die auch viele Shanghaier wütend machten. Und die kein gutes Licht auf Shanghais Parteichef Li Qiang werfen, dem als Mitglied des Politbüros Ambitionen unterstellt werden, an die Regierungsspitze zu gelangen.

Diese Tage in Shanghai zeigen nicht nur ein Organisationsdesaster, sondern sie haben auch gravierende wirtschaftliche Folgen. Viele Fabriken können nicht produzieren. Das Problem sind nicht die Beschäftigten, denn diese schlafen sogar in den Fabriken und Büros. Das Problem sind die fehlenden Vorprodukte, weil keine oder nur sehr wenige Lkws in die Stadt kommen. Jeden Tag gibt es Umsatzeinbußen, die in die Milliarden gehen.

Trotzdem hält die Führung an ihrer Null-Covid-Strategie fest. Das bekräftigte die stellvertretende Ministerpräsidentin Sun Chunlan bei ihrem Besuch in Shanghai. Für die „Anti-Epidemie-Generalin“ aber – so wird sie genannt, weil sie stets in die Städte der Corona-Ausbrüche reisen muss – ist Shanghai kein Symbol für das Scheitern der Corona-Politik, sondern zeigt nur eine schlechte Umsetzung der Strategie.

Da ist Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer in China (EUCCC), anderer Meinung. Am 8. April schrieb er just dieser Sun Chunlan einen zweiseitigen Brandbrief, in dem er mahnt: „The Omnicron variant is posing new challenges that seenmingly cannot be overcome by applying the old toolbox of mass testing and isolation.“ Er schreibt von rapide steigenden ökonomischen Kosten und warnt: „This also has an unfortunate impact on China´s image to the rest of the world while eroding foreign investor´s confidence in the Chinese market.”

Info:

Hier eine Übersicht der AHK China über die Folgen von Covid-19 (und des Ukraine-Krieges) auf die deutschen Unternehmen in China:

https://china.ahk.de/news/news-details/german-chamber-flash-survey-current-covid-19-outbreak-and-ukraine-war-heavily-impacting-german-businesses-in-china

Hier ein Video über die Nahrungsmittelversorgung in Shanghai sowie die Rolle der Lieferdienste und deren heldenhaften Fahrer:

https://www.sixthtone.com/news/1010054/Unsung%20Heroes:%20Shanghai%E2%80%99s%20Delivery%20Workers%20%20/

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