Die Leipziger Buchmesse ist auch dieses Jahr ausgefallen. Das ist schlecht für Autoren, die sich nicht präsentieren können. Und besonders schlecht für junge Autoren, die noch unbekannt sind und sich erst noch einen Namen schaffen müssen. Doch dankenswerterweise sprangen ein paar Veranstalter in die Bresche. Die taz zum Beispiel mit ihrem Lesefestival. So sitzt Lin Hierse (30) an diesem frühen Abend Mitte März in der taz-Kantine auf der Bühne vor einem vollen Saal. Es ist sozusagen ein Heimspiel für die junge Autorin, denn sie arbeitet in diesem Haus ein paar Etagen höher. Hierse ist seit 2019 Redakteurin der taz, nachdem sie zuvor an der Humboldt-Universität Asienwissenschaften studiert hatte, dort eigentlich promovieren wollte, aber sich dann doch für ein Volontariat bei der taz entschied: „Ich wollte immer Journalistin sein. Eine zu werden habe ich mir jedoch lange nicht zugetraut.“ Die Bescheidenheit war grundlos. Hierse ist eine exzellente Schreiberin. Bekannt wurde sie vor allem durch ihre Kolumnen in der taz. Erst durch „Chinatown“, dann „Political Correctness“. Diese Kolumnen erzeugten Aufmerksamkeit. „Ohne sie hätte ich keinen Buch-Vertrag bekommen“, sagt sie. Der Titel ihres gerade erschienenen Buches: „Wovon wir träumen.“ Es ist ein Roman. Ein autofiktiver Roman, wie sie sagt. Aber sie fügt gleich hinzu: „Er ist sehr nahe an meiner Autobiographie“. Lin ist in Braunschweig geboren. Vater Deutscher, Mutter Chinesin. Die Mutter, im Text stets nur Ma genannt, spielt neben der als Ich-Erzählerin auftretende Autorin die Hauptrolle. Ma verließ mit 32 Jahren und einem roten Hartschalenkoffer Shanghai, um einen deutschen Mann zu heiraten, der aber in dem Buch nicht auftritt. Die Geschichten handeln stets von der Autorin, ihrer Mutter Ma und ihrer Großmutter A`bu. Orte und Zeiten wechseln sich ab: Berlin, Braunschweig, Shanghai. Alltägliches (Passverlängerung) mischt sich mit Weltpolitischem (Kulturrevolution). „Es sollte keine lineare Erzählung werden, das war von vornherein klar“, erklärt Lin Hierse. Es ist ein Wandern zwischen den Welten auf der Suche nach Orientierung, die viele Migrantenkinder umtreibt. Ihre Suche endet in einem schlichten Satz: „Offensichtlich ist es möglich, an einem Ort gleichzeitig zu Hause und fremd zu sein.“ Lin Hierse schreibt in einer schönen, schnörkellosen, aber gleichwohl einfühlsamen Sprache. Nach zwei Jahren Schreiben an dem Roman, ist sie, obwohl stets bescheiden, selbst etwas euphorisiert: „Das hat ganz viel Lust auf fiktionales Schreiben gemacht.“ Wir können also noch mehr Geschriebenes in Buchform von ihr erwarten. Und das ist gut so.
Info:
Am 10. März erschien der erste Roman von Lin Hierse: Wovon wir träumen, Piper Verlag, 238 Seiten, 18 Euro.