Ab dem 5. März tagt – wie jedes Jahr um diese Zeit – der Nationale Volkskongress (NVK). Die Wirtschaft spielt dabei eine wichtige Rolle. Die Beobachter reduzieren die Diskussion auf eine Zahl: die Wachstumsrate. Wie hoch wird sie sein? Weil Chinas Regierung inzwischen davon abgekommen ist, eine Zahl zu nennen, sondern stattdessen lediglich einen Korridor, lautet die Frage inzwischen: In welchem Rahmen wird sich die Wachstumsrate bewegen? Im Vorfeld des NVK wird munter spekuliert. Die Auguren erwarten, dass eine Wachstumsrate zwischen 5 und 6 Prozent genannt wird (im vergangenen Jahr waren es 7,9 Prozent, aber diese Zahl taugt wenig als Vergleich, da durch Corona verzerrt). Sind diese 5 bis 6 Prozent realistisch? Selbst die ansonsten eher positiv gestimmten Analysten der Investmentbank Goldman Sachs rechnen nur mit einem Wachstum von 4,3 Prozent. Auch die Ökonomen des Internationalen Währungsfonds (IWF) sind eher vorsichtig. Sie reduzierten ihre Wachstumsprognose für China von 5,5 auf 4,8 Prozent. In ihrem kürzlich veröffentlichten Country Report China schreiben die IWF-Analysten gleich im ersten Satz: „China´s recovery is well advanced, but it lacks balance and momentum has slowed.“ Die bemängelte fehlende Balance bezieht sich vor allem auf die schlechte Abstimmung zwischen Fiskal- und Geldpolitik. Die Fiskalpolitik war längere Zeit restriktiver als die Geldpolitik, die bereits in der zweiten Jahreshälfte 2021 Zinsen wie Mindestreserven senkte. Die Experten – zum Beispiel die von der Allianz in ihrem Report „China: Putting the tiger on a stronger footing in 2022 – gehen davon aus, dass die Zentralbank weiter Zinssenkungen in diesem Jahr folgen lässt. Auch erwarten sie auf der fiskalischen Seite mehr Investitionen in Infrastruktur, aber nicht in die klassische Infrastruktur wie Brücken oder Straßen, sondern in „new infrastructure“. Darunter verstehen sie grüne Investitionen, aber auch solche in Advanced Manufacturing und Digitalisierung. Die IWF-Experten hingegen fordern von der Finanzpolitik mehr Ausgaben im Sozialbereich, denn immer noch ist das Sozialsystem Chinas sehr schwach ausgebildet. Direkte Beihilfen für sozial schwache Gruppen – so die berechtigte Annahme der IWF-Ökonomen – könnten sehr schnell in den Konsum zurückfließen. Das wäre sehr willkommen, denn der private Konsum kommt nicht so richtig in die Gänge, während der Exportmotor weiter läuft und läuft. Sollte er allerdings ins Stottern geraten (zum Beispiel durch eine Eskalation des Handelskrieges mit den USA), müsste sich Chinas Regierung von den geplanten Wachstumsraten verabschieden.
Info:
Den Country Report China des IWF gibt es hier:
https://www.imf.org/en/Publications/CR/Issues/2022/01/26/Peoples-Republic-of-China-2021-Article-IV-Consultation-Press-Release-Staff-Report-and-512248 Den Allianz-Report kann man hier nachlesen: https://www.allianz.com/en/economic_research/publications/specials_fmo/2022_02_09_China_TigerStrongerFooting.html Die Investmentbank JP Morgan hat einen Guide to China mit einer wahren Fundgrube für ökonomische Daten veröffentlicht:
https://am.jpmorgan.com/content/dam/jpm-am-aem/global/en/insights/market-insights/guide-to-china.pdf