OLYMPIA I Ski und Rodel schlecht – Eine Nachbetrachtung zur Berichterstattung von Rainer Stinner

Die Olympischen Spiele in Peking und die Berichterstattung/Diskussion darüber in Deutschland lassen mich beschwert zurück. Die Kritikpunkte an China (Xinjiang, Hongkong, Menschenrechte, Freiheit usw.) sind berechtigt, daran will ich keinen Zweifel lassen. Aber die fast ausschließliche Diskussion darüber gibt eben nicht das ganze Bild von China wieder. Dieses Bild und dieses Wissen brauchen wir aber, um in dem Systemwettbewerb mit China zu bestehen.

Es gibt eben in und um China mehr als eine Wahrheit. In der Berichterstattung wurde bei der Darstellung aller Phänomene immer, ich wiederhole, immer die für China negative Interpretation herangezogen. Ein Beispiel: Die Eröffnungsfeier wurde insgesamt gelobt. Diese Feier wurde von einer politischen Journalistin als “nicht bombastisch” gekennzeichnet, was eigentlich ein Lob sein könnte. Das darf aber natürlich nicht sein. Also wurde folgender Twist erfunden: “Das perfide an der Feier war, dass sie zwar sehr schön und gelungen war, aber sie war noch nicht mal bombastisch. Daran sieht man, wie perfide die chinesischen Diktatoren agieren, sie machen es noch nicht mal bombastisch und wollen damit natürlich die Welt nur täuschen”. Dieser Twist wurde der Grundtenor der Berichterstattung.

Es ist völlig die Chance verpasst worden, die Vielfältigkeit Chinas und die vielen Facetten zu zeigen. Stattdessen stand ausschließlich die Menschenrechtssituation im Vordergrund. Es hat seine volle Berechtigung, auf diese schlimmen Zustände hinzuweisen (Glaubhafter wäre es allerdings, wenn man auf der ganzen Welt diese Menschenrechtssituation und die Handlungsweisen der Staaten kritisch beleuchtete). Aber es ist völlig klar: Wir wollen nicht so leben wie in China. Aber die Frage hätte ja mal gestellt werden können: Warum finden die Chinesen in der übergroßen Mehrheit ihr System ganz prima, sind stolz auf ihr Land und die Entwicklung? Bei den von mehreren Institutionen durchgeführten weltweiten Befragungen (die letzte war das vor einigen Wochen vorgestellte Edelman Trust Barometer), in denen untersucht wurde, welches Vertrauen die Bevölkerung in die Führung des Landes hat, ist der Prozentsatz in China zwischen 80 und 94 Prozent, in Deutschland bei 48 Prozent, in den USA bei 44 Prozent. Und in allen westlichen demokratischen Ländern ist dieses Vertrauen in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken. Das wäre doch mal ein Feature in der ARD zur besten Sendezeit wert. Es wäre auch wert gewesen, darüber zu berichten, dass es in der Stadt Shenzhen gelungen ist, innerhalb ganz weniger Jahre alle 16 000 Busse auf Elektro umzustellen und darüber nachzudenken, woran es wohl liegt, dass in Deutschland die Elektrifizierung in den Städten in homöopathischen Dosen verläuft und wir hier rund 15 Jahre hinterherhinken. Es wäre auch angesichts der Diskussion über Nachhaltigkeit der Spiele angebracht gewesen, darüber zu berichten, dass alle rund 1000 Busse, die für die Olympischen Spiele eingesetzt wurden, mit Wasserstoff betrieben werden. Wie viele fahren wohl in Deutschland?

Und wenn man schon ein Land im Fokus hat, wäre es doch auch interessant gewesen, wie denn die Einstellung in dem Land zu technologischen, gesellschaftlichen Neuerungen ist. Sie ist grundsätzlich eher positiv, sogar – was bei uns keiner glauben will und kann – zu dem Social Credit System. Wie kommt so etwas? Warum hat kein Journalist versucht, hier hinter die Kulissen zu schauen?

Es drängt sich der Eindruck auf: Man wollte nicht differenziert schauen, man hat sein Bild im Kopf und das wird transportiert, Punkt.

Diese Bemerkungen sollen die Zustände in China, was Meinungsfreiheit, Justiz, Menschenrechte usw. angeht, nicht relativieren. Dafür besteht kein Anlass. China ist keine Demokratie (will auch ausdrücklich keine sein), ist kein Rechtsstaat westlichen Musters und will das auch gar nicht sein. Aber dass “wir”, die wir  angesichts der Chance der Olympischen Spiele die Chance erhalten, die Scheinwerfer auf ein weitgehend unbekanntes Land zu werfen, dann nur einen so kleinen Ausschnitt serviert bekommen, spricht jedenfalls eher gegen unsere Fähigkeit und unseren Willen, die Welt zu betrachten, wie sie (auch) ist. Diese Attitüde kann uns bei dem anstehenden Wettbewerb der Systeme schwer auf die Füße fallen.

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*Rainer Stinner war von 2002 bis 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages. Er war während dieser Zeit u.a. Obmann im Auswärtigen Ausschuss und außenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. Stinner ist selbständiger Unternehmensberater in München.

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