OLD CHINA HANDS I Titus von dem Bongart, Leiter des German Desk bei EY in Shanghai

China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn Letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine Old China Hand vorgestellt: Titus von dem Bongart (57).

Es fing mit einer Kiste an. Diese brachte seine Mutter einst aus Japan mit, wo sie Ende der 50er Jahre an der Deutschen Botschaft arbeitete. In der Kiste lagerten allerhand Mitbringsel aus dem fernen Land, die den kleinen Titus faszinierten. Als er groß war, ging er selbst nach Japan. Nach seiner Banklehre bei der Deutschen Bank war er auch für ein halbes Jahr in deren Dependance in Tokio. Später nahm dann das Interesse an einer anderen asiatischen Nation, China, zu. Er reiste 1993 erstmals privat nach China. Und nach seinem Jura-Studium machte er während seines Referendariats Station in Beijing bei Siemens und bei der Kammer in Taipeh. Sein erster Job war im Hamburger Büro der Wirtschaftsprüfergesellschaft Arthur Andersen. Kaum hatte er dort angefangen, bekam er mit, dass diese in Shanghai eine Anlaufstelle für deutsche Investoren – ein German Desk – aufbauen wollte. Bongart hob den Arm und bekam den Job. Der simple Grund: „Es gab niemand außer mir, der Interesse hatte.“ Und warum hatte er Interesse? „Das war ein bisschen Abenteuerlust, aber auch die Fortsetzung meiner Erfahrung in Fernost.“

So zog er 1997 nach Shanghai. Dort empfing ihn der dortige Bürochef, ein Festlandchinese, mit dem markigen Worten: „Wenn du nicht Chinesisch lernst, kannst du gleich wieder gehen. Wir werden nur eine begrenzte Zeit, drei Monate, mit dir englisch sprechen.“ Bongart kapierte schnell: Der meint das ernst. Also paukte er, der schon einen Kurs am Bochumer LSI hinter sich hatte, jeden Morgen Chinesisch. Heute kann Bongart längst Chinesisch sprechen, schreiben und lesen. Das können nicht viele deutsche Expats von sich behaupten. Und es gibt auch wenige Deutsche, die über einen so langen Zeitraum China-Erfahrung haben. Drei Jahre Shanghai waren zunächst geplant. Doch es wurden bis heute 25 Jahre. Eine so lange Verweildauer an einem Ort ist eigentlich nicht üblich beim Beratungsunternehmen EY, für das Bongart seit 2006 arbeitet und in Shanghai das German Business Network (GBN) leitet. Aber EY schätzt seine Expertise vor Ort, und Bongart wollte nicht weg: „Wir wollten stets in China bleiben, weil wir von dem Land fasziniert waren und nach wie vor sind.“ Seine Frau ist Sinologin, zwei der drei Kinder sind hier geboren und gingen auf eine chinesische Grundschule. Und er ist sehr stark in der deutschen Community verankert, übernahm immer wieder Funktionen in der Handelskammer. Derzeit ist er dort stellvertretender Vorsitzender.

25 Jahre China – da kann man schon mal Bilanz ziehen: „In diesen 25 Jahren fand wahrscheinlich die schnellste Entwicklung eines Landes statt, die die Menschheit je gesehen hat.” Er kann den Fortschritt in seinem beruflichen Umfeld messen. „Die größte Veränderung sehe ich bei der Qualität der Beamten“, sagt Bongart, „am Anfang hatten sie wenig Ahnung von internationalem Steuerrecht, aber heute  sind viele von ihnen sehr gut ausgebildet.“ Und wie hat sich sein Shanghai verändert? „Es ist westlicher und einfacher geworden.“ Es gibt westliche Restaurants und westliche Lebensmittel (Stichwort: Schwarzbrot), es gibt ein immer größer werdendes Metro-Netz und Leihfahrräder. „Und die Stadt ist grüner geworden“, sagt der Outdoor-Sportler Bongart und preist vor allem die Begrünung der Uferpromenaden entlang des Hangpu-Flusses. Dort läuft er samstags 12 Kilometer in einer Läufergruppe. Ob er danach sein geliebtes Erdinger Weißbier zischt, hat er nicht verraten. Aber er hat verraten, was er über die deutsche China-Kompetenz denkt: „Was ich immer noch erstaunlich finde, wie wenig man in den Headquartern der Unternehmen über China weiß und wie wenig China letztlich verstanden wird. Das ist vor allem deshalb erstaunlich, wenn man bedenkt, wie viele Manager hier waren und zurück ins Mutterhaus gingen.“ 

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