CHINAHIRN fragt…Rudolf Scharping, Berater und China-Kenner

Anfang Dezember flog Rudolf Scharping (74) bereits zum vierten Mal in diesem Jahr nach China. Ich erreiche ihn in seinem Quarantäne-Hotel. Ich schaue aus meinem Fenster auf ein verschneites Berlin, er sagt: „Ich schaue auf ein sonniges Shanghai.“ Bis Mitte Januar wird er noch in China bleiben. Der ehemalige Verteidigungsminister und SPD-Vorsitzende war auch sechs Jahre Präsident der europäischen Sozialdemokraten. Er ist CEO der von ihm gegründeten Beratungsgesellschaft RSBK, die vor allem deutsche Unternehmen in China berät.

Herr Scharping, Sie sind in China sehr gut verdrahtet. Wie kam es eigentlich zu Ihrer China-Connection?

Das begann in den 1980er Jahren. Ich war dann 2001 der erste deutsche Verteidigungsminister, der China besuchte. Seit ich raus bin aus der Politik, also seit 2005, war ich mehr als 150mal in China. Ich habe, wenn man alles zusammenzählt, fünf Jahre in China verbracht. Das hilft, einen gewissen Überblick, aber auch ein gewisses Gespür für Entwicklungen in dem Land zu haben.

Werden denn Ihre chinesische Erfahrung und das Wissen in Ihrer Partei, der SPD, nachgefragt?

Wir beraten vor allem Unternehmen. Und natürlich gibt es auch Gespräche im politischen Raum, aber nicht begrenzt auf meine Partei.

Aber können Sie verraten, wie Sie die China-Politik von Olaf Scholz sehen? Ist sie in der Kontinuität von Angela Merkel?

Zunächst: Europa und mit ihm Deutschland müssen sich hüten, ins Hintertreffen zu geraten. Am 1. Januar entsteht RCEP, eine umfassende Freihandelszone in Asien und Ozeanien. Das ist eine massive Gewichtsverschiebung. Ja, ich sehe die Grundlagen deutscher China-Politik unverändert, wie die Ein-China-Politik und umfassende Beziehungen. Erstens gibt es Bereiche, in denen wir kooperieren können und auch müssen. Wir brauchen China zum Beispiel im weltweiten Kampf gegen den Klimawandel und gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Zweitens haben wir Bereiche, in denen wir im Wettbewerb mit China stehen, bei Innovationen und neuen Technologien. Da müssen wir in Europa besser werden und mit China bilateral und in der WTO faire Regeln vereinbaren. Jüngste Entscheidungen in China signalisieren eine fortgesetzte Öffnung; gerade eben wurde die sogenannte Negativliste in China erneut verkürzt, von ursprünglich 100 auf jetzt weniger als dreißig Bereiche – also fortgesetzte Öffnung. Von dort sollten wir ausgehen und dann kann man auch die grundlegenden Meinungsverschiedenheiten ansprechen, zum Beispiel zu Fragen des Rechtsstaates.

Viele sehen China neben Partner und Wettbewerber noch als systemischen Rivalen. Sie nicht?

Die Wortwahl der Amerikaner ist smarter: cooperation, competition, conflict.  Die drei großen Wirtschaftsräume China, EU und USA sind aufeinander angewiesen. Wenn wir die Verbindungen untereinander, also auch zwischen Europa und China, kappen, wird dies zu Lasten der Bevölkerung gehen, des Wohlstands und der internationalen Sicherheit. Denn ein neuer Systemkonflikt wird nichts Gutes bewirken. Amerikaner und Chinesen reden seit dem Amtsantritt von Joe Biden über alle diese globalen Themen schon sehr intensiv – und sie handeln. Gerade sind zwischen den USA und China die größten Verträge zu Flüssiggas unterschrieben worden. Und Australien hat trotz massiver Meinungsverschiedenheiten mit China den Vertrag zu RCEP ratifiziert. Europa und China sollten rausfinden aus der Logik der Sanktionen und das europäisch-chinesische Investitionsabkommen CAI nutzen.

Die neue Außenministerin Annalena Baerbock geht aber mit ihrer „werteorientierten Außenpolitik“ eher auf Konfrontation.

Ich plädiere für einen wertegebundenen Realismus. Alle Kanzler haben immer auch konkreten Menschen mit ihren konkreten Schicksalen praktisch geholfen. Dies aber nie mit dem Anstimmen der Trompete, sondern im Gespräch. Ob man seine Werte vertritt, entscheidet sich an der Wirksamkeit des Handelns und nicht an der Lautstärke des Redens. Wenn man also glaubt, öffentlich ein Gespräch über Interviews zu führen…

…Sie meinen das Interview Baerbocks mit der taz…

…nein. Der Satz, den die neue Außenministerin in Paris gesagt hat, dass man Konflikte und unterschiedliche Interessen immer auch durch die Sichtweise des anderen wahrnehmen solle, ist richtig – übrigens auch für China. Da zitiere ich gerne Willy Brandt: Wem soll das denn imponieren, wenn ich mit der Faust auf den Tisch schlage, außer dem Tisch? Etwas grundsätzlicher gesagt: 2022 bestehen die diplomatischen Beziehungen zwischen China und Deutschland seit 50 Jahren. 1972 hatten wir in Deutschland mit Brandt und Scheel die Politik von Frieden und Entspannung durchgesetzt, die die Konfrontation der Blöcke schrittweise lockerte und schließlich zu überwinden half. 1990 trug die UdSSR mal gerade 3,4 Prozent zur Weltwirtschaft bei, war aber hochgerüstet und hatte ihre Menschen regelrecht eingesperrt, wie die DDR ja auch. Das war gefährlich, es trat die Freiheit mit Füßen. Das sagt uns auch: mit den alten Kategorien kommen wir heute nicht wirklich weit. Bezogen auf China nur zwei Hinweise: Im Jahr vor der Pandemie waren rund 130 Millionen Chinesinnen und Chinesen im Ausland, und in Kaufkraft ist China schon heute die größte Volkswirtschaft auf der Erde – trotz aller innerchinesischen Probleme.

Welches sind denn die inneren Schwierigkeiten Chinas?

Das Land steht vor einigen großen Herausforderungen, das sollten wir aus eigener Erfahrung wissen. Unser schneller Wiederaufbau fand in einem „geschützten“ Raum statt und Umwelt spielte da keine Rolle. Das Dach über dem Kopf, Arbeit, das Ende des Hungerns, Schulen und Krankenhäuser – das hatte Vorrang vor allem anderen. Genau das ist in China seit der Öffnung geschehen, mit einzigartigem Erfolg und enormen neuen Herausforderungen. Da sind die demographischen Probleme, die riesigen Einkommensunterschiede zwischen den Armen und den Superreichen, aber auch zwischen West und Ost in China, hinzu kommen die Probleme mit Energie und Umwelt und nicht zu vergessen die gefährdete Stabilität des Finanzsektors. Diese Beispiele sollen verdeutlichen, dass sich China tatsächlich so großen Herausforderungen gegenübersieht, dass sich das Land äußere Konflikte eigentlich gar nicht leisten kann und auch nicht will. Andererseits will China auch nicht in seinem Stolz verletzt werden. Das ist in der Zeit von den Opiumkriegen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts lange genug passiert. Das wollen sie nicht mehr erleben.

Aber China ist ja außenpolitisch auch nicht gerade zimperlich?

Das sind große Mächte selten. Um so wichtiger ist die Stärkung der weltweiten Institutionen und der auf Respekt und Regeln aufgebauten internationalen Beziehungen. 

Ist China aber unter Xi Jinping nicht auch aggressiver geworden?

Es gibt nicht nur eine klare, auch harte Führung, auch das härtere Durchsetzen von Interessen und immer auch Raum und Möglichkeiten, Interessen auszutarieren. Aber daneben muss man die Differenziertheiten innerhalb der KP, innerhalb der Zivilgesellschaft, innerhalb von Wirtschaft und Wissenschaft berücksichtigen. Wer denkt, das sei ein uniformierter Apparat, der von oben nach unten nur mit einer einzigen Taste funktioniert, und die Taste sitzt in Beijing beim großen Steuermann – das wäre eine grobe Fehleinschätzung. Sie verschüttet Möglichkeiten des Handelns. Und wer so denkt, hat China einfach nicht verstanden. 

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