GESELLSCHAFT I Impfen in China: Zwang oder Freiheit chinesischer Prägung? / Von Imke Vidal

„Niemand hat die Absicht eine Impfpflicht einzuführen“, spöttelte man hierzulande in den sozialen Medien in Anspielung auf den berühmten Mauer-Satz von Walter Ulbricht aus dem Jahr 1961. Denn ähnlich wie ‘61 war auch ‘21 klar, sie käme eben doch: die Mauer damals und die Impfpflicht heute. Inzwischen debattieren deutsche Politiker längst öffentlich den Nutzen der Impfpflicht sowie die Möglichkeiten und Grenzen ihrer Durchsetzbarkeit. Nicht selten wird dabei betont, es handele sich keinesfalls um einen Zwang. Denn Zwänge passen nicht recht in unser freiheitlich demokratisches Weltbild – schon Pflichten gehören nicht zu den Lieblingsthemen unserer politischen Eliten. Da müsste es China unter dem strengen Regiment der Kommunistischen Partei leichter haben. Aber wie steht es eigentlich um die chinesische Impfkampagne?  Einem Bericht von SupChina zufolge steht die Volksrepublik vor ganz ähnlichen Problemen wie die Bundesrepublik – wenn auch in anderen Größenordnungen. Zunächst ging das Impfen in China gut voran. Bis September 2021 waren bereits über 70 Prozent der Bevölkerung geimpft. Unter den 12- bis 17-Jährigen betrug die Impfquote gar 90%. Doch ähnlich wie in Deutschland stagniert inzwischen auch in China die Impfquote und manche Teile der Bevölkerung erweisen sich als impfunwillig. So sind laut SupChina mehr als 50 Millionen der über 60-Jährigen in China weiter ungeimpft. In einigen Provinzen liegt die Impfquote der über 70-Jährigen unter 50 Prozent, bei den über 80-Jährigen erreicht sie in manchen Regionen nur 30 Prozent. Ausgerechnet die älteren, vulnerablen Altersgruppen stellen die chinesische Impfkampagne vor eine ähnliche Herausforderung wie hierzulande die sogenannten Impfgegner. Längst sind deshalb die über 60-Jährigen für die Regierung zur Hauptzielgruppe ihrer Impfkampagne avanciert. Es läge nahe, sie zu ihrem eigenen Schutz zur Impfung zu verpflichten. Doch auch wenn beispielsweise ein Artikel der FAZ schon im Juli 2021 meinte, China sei „nah dran an der Impfpflicht“, so gibt es diese bisher nicht. Mit einer Ausnahme in Peking, wo für bestimmte Berufsgruppen ein Booster erforderlich ist[1]. Vor allem aber gibt es Regeln, die Ungeimpften den Alltag erschweren, nicht viel anders als in Deutschland die G2-, G3- und G2+ Regeln. Daran gibt es auch in China in den sozialen Medien Kritik. Nicht jedem gefällt das Vorgehen der Regierung. Wer dem chinesischen Überwachungsstaat aber zugetraut hätte, seine Beamten mit Spritzen von Tür zu Tür ziehen zu lassen, wird bisher enttäuscht. Noch setzt man auf Anreize und Überzeugungsarbeit und bietet speziell den über 60-Jährigen bei der Impfung kleine Geschenke an. Woher aber die Impfskepsis ausgerechnet bei den älteren Chinesen rührt, ist nicht einfach zu erklären. Einer der Gründe dafür ist vermutlich die Sorge vor Nebenwirkungen. Vielleicht liegt es auch am immer noch mangelnden Vertrauen der Älteren in die moderne Medizin. SupChina verweist auf eine Debatte unter dem Hashtag „China hat 50 Millionen ungeimpfte Senioren“. Dort finden sich Berichte über ältere Menschen, die nach der Covid-Impfung erkrankt oder verstorben sein sollen. Medizinische Belege für solche Thesen liefern die User indes nicht, und unklar ist auch, ob es sich eindeutig um Folgen der Impfung handelt. Ihre Wirkung entfalten die Berichte dennoch. Und so melden sich auch in den chinesischen sozialen Medien aller Zensur zum Trotz Impfgegner zu Wort, ganz wie hierzulande. Ob das dann immer noch die Älteren sind? Oder doch eher heimliche Regimekritiker? Die soll es hierzulande unter den Impfgegnern ja auch geben.

Info:

Den SupChina-Artikel gibt es hier: https://supchina.com/2021/11/30/china-wants-higher-vaccination-rate-among-seniors-but-hesitant-people-say-beijing-is-too-pushy/


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