Liebe Leserinnen, liebe Leser

als ich vor über 40 Jahren in den Journalismus einstieg, wurden mir gewisse Grundregeln vermittelt. Die wichtigste: In einer Tageszeitung sind Nachrichten und Meinungen getrennt. Für Letzteres gibt es die Kommentarspalten. Aber in den Nachrichten wird informiert. Der Leser soll sich auf Basis von Informationen dann selbst ein Bild machen. Aber diese Trennung von Nachricht und Kommentar gibt es nicht mehr. Längst hat eine Vermischung der journalistischen Formate stattgefunden – egal, ob FAZ, FR, SZ, taz oder Die Welt. Das ist wohl der Zeitgeist. Viele Journalisten verließen die Rolle der Beobachter und wurden zu belehrenden Akteuren, besonders ausgeprägt bei Hauptstadtjournalisten und Auslandskorrespondenten. Letztere prägen das Bild eines Landes, über das sie berichten. Womit ich beim Thema China wäre. Welches China-Bild vermitteln die Berichterstatter vor Ort? Sie beschreiben ein Land, dessen Einwohner – Vorsicht: Polemik! – nur aus Xi Jinping und Dissidenten zu bestehen scheint. Es findet meist nur die große Politik statt, aber der kleine Mann (oder die kleine Frau) wird nicht beachtet. Über den Alltag der Chinesen mit all ihren Freuden, aber auch Sorgen und Nöten erfährt man wenig bis gar nichts. Früher gab es mal Autoren, die sich in die Niederungen des chinesischen Alltags begaben und daraus köstliche Kolumnen verfassten.  Zum Beispiel Christian Y. Schmidt („Bliefe von dlüben“ und „Im Jahr des Tigerochsen“ in der taz) oder Kai Strittmatter („Sack Reis“ in der Süddeutschen Zeitung). Warum nicht eine Neuauflage: Kolumnisten aller Blätter traut euch.             

Wolfgang Hirn

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