POLITIK I Taiwan: Politik der Nadelstiche

In der Wisconsin Avenue 4201 im Norden der US-Hauptstadt Washington steht ein dunkles vierstöckiges Bürohaus. Rechts vom Eingang ein Schild: „Taipei Economic and Cultural Representative Office“. Dieses Schild soll nach dem Wunsch einiger US-Politiker ersetzt werden. Neuer Schriftzug dann: „Taiwan Representative Office.“  Taiwan statt Taipeh. Na und? wird der Unbedarfte jetzt fragen. Was macht das für einen Unterschied? Nach chinesischer Lesart bedeutet die Nutzung des Begriffs Taiwan eine De-Facto-Anerkennung von Taiwan als eigener, selbstständiger Staat. Für die Chinesen ist die Insel Taiwan hingegen eine abtrünnige Provinz, die sie heim ins Riesenreich holen wollen. Für die Führung gibt es nur ein China, eben die Volksrepublik. Diese Position der Ein-China-Politik akzeptierten auch die westlichen Staaten, als sie in den 70er Jahren die Volksrepublik China anerkannten und Taiwan fallen ließen. Seitdem lebt Taiwan in einem Zwitter-Status. Es gibt nur wenige Staaten (derzeit sind es 14, darunter fast nur unbedeutende Inselstaaten in der Karibik und im Pazifik), die die Republic of China – so nennt sich Taiwan offiziell – anerkennen. Die anderen Staaten, die Taiwan nicht anerkennen, haben Vertretungen in Taiwans Hauptstadt Taipei, nennen sie aber nicht Botschaft. So heißt zum Beispiel die bundesdeutsche Vertretung vor Ort Deutsches Institut Taipei. Umgekehrt fungieren die taiwanesischen Vertretungen in Deutschland (Berlin, Frankfurt, Hamburg und München) als Taipeh Vertretung. So hielten es alle Staaten bislang. Doch nun rücken die USA Stück für Stück von der Ein-China-Politik ab, und zwar mit einer Politik der kleinen Nadelstiche. Das fing schon unter Trump an, der Minister nach Taiwan schickte. Nachfolger Joe Biden setzte diese Politik fort. Zu seiner Vereidigung lud er erstmals die taiwanesische „Botschafterin“ ein. Und nun die Umbenennung der „Botschaften“, die nach Informationen der Financial Times eine breite Zustimmung im Nationalen Sicherheitsrat gefunden haben soll. Auch in der EU findet eine solche Diskussion statt, angezettelt von Litauen. Der baltische Staat und Taiwan planen den Austausch von Missionen. Aber sie sollen nicht – wie die anderen EU-„Botschaften“ –  Taipei im Namen führen, sondern Taiwan. Das hat zu einem heftigen Streit zwischen Litauen und der VR China geführt. Litauens Botschafterin in Beijing wurde zurückbeordert. Nun fordert Litauen Solidarität von der EU ein. Von den USA haben sie sie bereits bekommen. Außenminister Antony Blinken klopfte dem Kollegen Gabrielius Landsbergis auf die Schulter. Es ist sowohl für die USA als auch für die EU ein schwieriger Balanceakt: Einerseits an der Ein-China-Politik festzuhalten, andererseits Taiwan aufzuwerten. Um diesem Dilemma zu entfliehen, fordern ein paar ganz Mutige – so der grüne Europaparlamentarier Reinhard Bütikofer & Co. in einem Handelsblatt-Artikel vom 14. September – sogar, die Ein-China-Politik aufzukündigen. Da schaue ich doch schnell mal in das Wahlprogramm der Grünen und entdecke den Satz: „Wir halten uns an die „Ein-China-Politik“ der Europäischen Union.“ Ich bin beruhigt, es scheint sich also um eine Minderheitenmeinung von Herrn Bütikofer zu handeln.

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