POLITIK I Uneiniges Europa

Am 8. Juli verabschiedete das Europäische Parlament eine Resolution gegen China. „Europaparlament für Boykott der Olympischen Spiele in China“ titelten danach viele Blätter. Im Kleingedruckten liest sich das dann weniger dramatisch an. Die Mehrheit der Abgeordneten forderte lediglich, dass europäische Politiker und Diplomaten den Spielen fernbleiben sollen. Doch auch das wird ein frommer Wunsch aus Straßburg bleiben. Am Tag zuvor hatte Xi Jinping mit Griechenlands Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis telefoniert und ihn zu den Olympischen Winterspielen eingeladen. Mitsotakis nahm die Einladung an und wird sicher nicht der einzige europäische Politiker sein, der trotz Parlaments-Verdikt im Februar 2022 nach China reisen wird.  Das ist nur ein kleines Beispiel, wie uneinig die EU gegenüber China ist. DIE europäische China-Politik gibt es nicht. Es bilden sich Gruppen und Grüppchen. Das mächtigste Grüppchen traf sich am 5. Juli zu einem virtuellen Meeting. Angela Merkel und Emmanuel Macron tauschten sich mit Xi Jinping aus. Schon zum dritten Mal hat sich diese Troika verabredet. Diese Treffen gefallen nicht allen. Vor allem Litauens Außenminister Gabrielus Landsbergis kritisiert diese Dreier-Treffen, die eine gemeinsame EU-Politik konterklarieren. Gegenüber Politico sagte er: “There is no united position on China, there is no united format to talk with China.” Litauens Präsident Gitanas Nausėda schlug deshalb ein einem Brief an EU-Präsident Charles Michel einen EU-Gipfel mit Xi Jinping vor. Darin schreibt er: “I would furthermore encourage that such 27+1 summits take place on a regular basis and are preceded by a strategic discussion on China among the 27 EU leaders.” Aber kann es überhaupt eine einheitliche europäische China-Politik geben? Zu unterschiedlich sind die Interessen und auch . Deutschland und Frankreich haben starke wirtschaftliche Interessen. Die deutsche Autoindustrie kann ohne China nicht überleben. Das gleiche gilt für Frankreichs Luxusindustrie. Und auch das gemeinsame deutsch-französische Airbus-Projekt käme ohne die Verkäufe nach China in schwere Turbulenzen. Die Südländer Griechenland, Portugal und Spanien sind auf chinesische Investitionen angewiesen und heißen diese herzlich willkommen. Italien beteiligt sich als einziges EU-Land an der chinesischen Seidenstraßeninitiative. Dabei eiert Italien ganz schön herum. Auf dem G7-Gipfel stellt Premierminister Mario Draghi eine mögliche Revision des Seidenstraßen-Engagements in Aussicht, aber nach geleakten Papieren des Außenministeriums soll er mit China über eine Vertiefung verhandeln. Und auch sein Außenminister Luigi Di Maio redet, was China anbetrifft, mit gespaltener Zunge. Gleiches in Tschechien. Dort gilt Staatspräsident Miloš Zeman (er telefonierte am 8. Juli mit Xi Jinping) als großer China-Freund, während die Regierung in Prag eher kritisch ist. Aber den größten Verbündeten in der EU hat China in Ungarn. Ministerpräsident Victor Orbán hat zwischen April und Juni im EU-Ministerrat drei Resolutionen zu Hongkong verhindert. Die Dissonanzen in der EU zu China könnte ich noch um einige Beispiele erweitern, aber ich will und muss zum Schluss kommen. Und der Schluss lautet: Es können noch so viele gemeinsame Resolutionen und Kommuniqués verabschiedet werden, noch so viele Papiere erstellt werden, eine einheitliche China-Politik der EU wird es derzeit nicht geben – so wünschenswert das wäre.

Info:

Die Resolution des Europäischen Parlaments vom 8. Juli gibt es hier im Wortlaut: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/RC-9-2021-0385_EN.html?link_id=1&can_id=311cfe77dbd653cc6b56a85f2a603bd4&source=email-european-parliament-calls-for-political-boycott-of-the-2022-beijing-winter-olympics&email_referrer=email_1227400&email_subject=european-parliament-calls-for-political-boycott-of-the-2022-beijing-winter-olympics

Eine aktuelle, kritische Studie zur europäischen China-Politik von Pepjin Bergsen (Chatham House) kann hier heruntergeladen werden: https://www.chathamhouse.org/2021/07/eus-unsustainable-china-strategy

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