CHINAHIRN fragt…Klaus Mühlhahn, Sinologie-Professor

Klaus Mühlhahn (57) ist seit Juni 2020 Präsident der privaten Zeppelin Universität (ZU) in Friedrichshafen am Bodensee. Davor war der Sinologe Professor für Chinesische Geschichte und Kultur an der FU Berlin und zeitweise auch deren Vizepräsident. Von Klaus Mühlhahn erschien soeben das Buch „Geschichte des Modernen China“ (C. H. Beck). Er baut derzeit an der ZU einen Lehrstuhl für Moderne China-Studien auf. 

CHINAHIRN Herr Mühlhahn, warum hat die KPCh überlebt und die KPdSU nicht?

Die Kommunistische Partei Chinas hat sich ja mehrfach komplett neu erfunden – anders als die KPdSU. Sie startete in den 20er Jahren als eine Partei des Proletariats, ist dann in den 30er Jahren zu einer Partei der Bauern geworden. In den 50er Jahren mutierte sie dann zu einer Regierungspartei. Da hat sie den Parteistaat aufgebaut. Aber die dramatischste Neuerfindung kam dann 1978 als man plötzlich die ganze Planwirtschaft hinter sich ließ und sagte: Jetzt machen wir einen Sozialismus mit chinesischen Eigenschaften. Diese Partei ist also extrem lernfähig und sehr pragmatisch. Sie ist eine einzigartige Organisation.

Das müssen Sie erklären

Die KP Chinas ist die mächtigste kommunistische Partei, die die Welt je gesehen hat. Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen: Es gibt weltweit keine Partei, die es mit der KP China aufnehmen kann, und zwar nicht nur wegen der schieren Größe oder weil es die Herrschaftspartei ist, sondern weil sie ein Wunderwerk der Organisation ist. Es gibt kaum eine Partei, die trotz ihrer Größe mit 92 Millionen Mitgliedern einen solchen Zusammenhalt aufweist hat, die so reibungslos funktioniert, die in jedem Dorf, in jeder Stadt, in jeder Fabrik zuhause ist und trotzdem immer dieselbe Botschaft verkündet. Sie ist ein Transmissionsriemen, der trotz hoher Komplexität sehr effizient arbeitet.

Ist das etwas typisch Chinesisches?

Ja. Wenn wir im Westen auf eine Partei schauen, dann sehen wir deren politisches Programm und deren Ideologie. Wenn man in China auf die Partei schaut, sieht man darin in erster Linie eine Organisation und ein Netzwerk, wo sich Mitglieder gegenseitig unterstützen.

Das Wort kommunistisch ist also nur noch Folklore?

Die politische Programmatik spielt schon noch eine Rolle, aber nicht so wie hier im Westen. Die Partei definiert sich von der Zweckerfüllung her und nicht von der Loyalität zu einer politischen Mission. Die KP hatte immer eine große Bandbreite von Ideen. Neben dem klassischen kommunistischen Ideal ging es auch viel um Nationalismus und Patriotismus. Das Land wieder groß und stark zu machen – das waren von Anfang an keine Ideale, die sehr gut mit Karl Marx vereinbar waren. Die ursprüngliche Marxsche Idee ist ja Internationalismus und nicht nationale Größe.

Diese Partei herrscht allein und wird ja nicht vom Volk gewählt, was ist dann deren Legitimation?

Wenn ich mit chinesischen Kollegen rede, sagen die: ihr seid besessen von dieser Frage der Legitimation. Für sie ist das ein westliches Konzept. Die Chinesen sprechen lieber von Konsens und Zustimmung. Und die Akzeptanz von Partei und Regierung ist in China viel höher als wir hier vermuten. Sie ist sogar sehr hoch.

Warum?

Weil Partei und Regierung Wohlstand liefern, weil die Partei den sozialen Kontrakt also einhält, und weil sie die Armut beseitigt hat. Aber das setzt sie auch unter erheblichen Druck. Sie muss kontinuierlich Wachstum erzeugen. Bislang ist das gelungen.

Und wenn ihr das nicht mehr gelingt?

Der Rückhalt in der Bevölkerung wird in dem Moment in Gefahr sein, wenn China wirtschaftlich in Schwierigkeiten gerät. Die chinesische Bevölkerung ist ja viel ungeduldiger als die im Westen. Fünf Jahre Stagnation macht man in China nicht mit. Es besteht deshalb auch die Gefahr, dass die Regierung Risiken eingeht, um das Wachstum zu erhalten, zum Beispiel einen hohen Schuldenstand zulässt.

Xi Jinping hat sich auf Lebenszeit inthronisieren lassen. Ist er der neue Mao?

Die Aufhebung der Amtszeit-Beschränkung war schon ein ganz harter Einschnitt. Der erzwungene Wechsel nach zwei Perioden an der Spitze war ja nach Mao die wichtigste Erneuerung, sogar der Schlüssel des Erfolgs der KP. Nun ist die Beschränkung weg. Das halte ich für sehr gefährlich.

Warum hat Xi das gemacht?

Er ist der festen Überzeugung, dass China einen starken Führer braucht. Das ist seine Erfahrung aus der Kulturrevolution, deren Chaos er ja am eigenen Leibe erfahren hat. Das Chaos kam seiner Meinung nach damals zustande, weil es keinen starken Führer mehr gab.

Trotz dieses eher diktatorischen Regimes ist die KP offenbar immer noch für Mitglieder attraktiv – warum?

Die Partei ist sicher auch der Weg zu einflussreichen Positionen. Aber viele gehen auch in die Partei, weil sie sich engagieren wollen. Wenn sie in einer nichtdemokratischen Gesellschaft leben, ist die Partei auch eine wichtige Möglichkeit an der gesellschaftlichen Entwicklung teilzuhaben und diese mitzugestalten. Dieses Motiv sollten wir nicht unterschätzen. Dabei ist die Partei äußerst wählerisch bei seinen neuen Mitgliedern. Sie hat ein sehr selektives Aufnahmeverfahren. Es ist sehr schwer in die Partei zu kommen. Die Aufnahmelisten sind lang. Die neuen Mitglieder brauchen nicht nur einen makellosen politischen Lebenslauf, sie müssen auch qualifiziert sein. Die Aufnahme erfolgt auf der Basis von Leistung und anonymen Tests. Das war unter Mao noch ganz anders Seine Maxime bei der Rekrutierung war: Besser rot als Experte.

Wie lange wird es diese KP Chinas noch geben?

Bislang waren – das habe ich mal untersucht – die meisten Vorhersagen über China falsch. Deshalb wage ich lieber keine Prognose. Eine solche scheitert auch daran, dass wir einfach viel zu wenig über die Partei wissen. In Deutschland gibt es inzwischen unter den Sinologen kaum mehr Spezialisten zu Chinas KP. Auch international ist die Expertise sehr dünn. Das ist eine fatale Entwicklung: Diese Partei wird immer stärker, und wir wissen immer weniger über sie.

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