VERY OLD CHINA HAND I Gottfried Wilhelm Leibniz, Universalgelehrter

China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn Letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird ausnahmsweise mal eine Very Old China Hand vorgestellt: Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716).

„Er ist morgens schreibend aufgestanden und abends schreibend eingeschlafen“, sagt Michael Kempe, Leiter des Leibniz-Archivs, über Gottfried Wilhelm Leibniz. Rund 200 000 handgeschriebene Seiten und 15 000 Briefe hat der Universalgelehrte hinterlassen. In einem der Briefe aus dem Jahre 1697 schreibt er eher scherzhaft an die Kurfürstin Sophie-Charlotte, dass er wohl an die Tür seiner Wohnung in der Hannoveraner Schmiedestraße künftig das Schild „Auskunftsbüro für China“ hängen müsse. Leibniz war ein gefragter Mann, nachdem er kurz vorher „Novissima Sinica“ (1697) veröffentlicht hatte und sich damit als China-Kenner geoutet hat – von denen gab es damals in Europa nicht sehr viele.  

Warum und wie wurde Leibniz zum anerkannten China-Versteher? Er selber war nie in China. Die Reise dorthin dauerte in jener Zeit immerhin zwei bis drei Jahre. Leibniz reiste lieber durch Europa. 1689 traf er in Rom Claudio Filippo Grimaldi, den Leiter der jesuitischen Chinakommission. Dieser war gerade auf „Heimaturlaub“. Die Folge der Gespräche: „Ein leidenschaftlicher Hunger erfasst ihn jetzt nach näheren Kenntnissen von China“, schreibt der Sinologe Otto Franke in seinem 1927 erschienenen Aufsatz „Leibniz und China“. Alles interessierte den Universalgelehrten an China: Sprache, Schrift, Literatur, Geographie, Geschichte, Astronomie, Medizin, Rezepte.  Leibniz hatte deshalb Kontakt mit allen bedeutenden China-Reisenden seiner Epoche – und das waren meist Jesuiten. Er löcherte und nervte sie mit vielen Fragen. Er wollte – nur als Beispiel – Auskunft über die Dialekte der Provinzen, und er wollte wissen, ob Gicht, Pocken und Gallensteine in China häufig seneien.

Sein erfragtes und angelesenes Wissen floss in sein Werk „Novissima Sinica“ ein, das nach Otto Franke „den Höhepunkt seiner Begeisterung für die chinesische Welt bildet.“ In dieser Schrift rühmt er den damals herrschenden Qing-Kaiser Kangxi, der „durch seine Größe fast über menschliches Maß hinausragt und wie ein sterblicher Gott angesehen wird, so dass alles seinen Wünschen gemäß geschieht.“ Kangxi war zu der Zeit Herrscher – so Franke – „über einen wohlgeordneten, mächtigen Staat, in dem die Wissenschaften und Künste blühten.“ Welch Kontrast war dieses China zu dem von Kriegen und Armut gebeutelten Europa jener Zeit! Leibniz war deshalb der Meinung, dass Europa von China lernen könne und schlug vor, dass die Chinesen Missionare nach Europa schicken. Er, der Freund der großen Harmonie, wollte eine Brücke zwischen Ost und West bauen. Dazu ist es aber weder bis zu seinem Tod anno 1716 noch danach gekommen. Trotzdem leben seine Gedanken fort. Ein Satz bezüglich des Austausches mit China hat mir besonders gefallen: „Austausch, lernen, profitieren, so dass dadurch etwas Vorzügliches, Vernünftiges für beide Seiten herauskommt.“ Dieser auch heute noch gültige Gedanke war der Grund, warum ich Leibniz intellektuell exhumiert habe und ausnahmsweise eine nicht mehr unter uns weilende China Hand in dieser Reihe vorstelle.

Info:

Lesenswert ist der Artikel „Leibniz und China“ von Otto Franke, dem Doyen der deutschen Sinologie, den er in der Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 1927 veröffentlicht hat: http://menadoc.bibliothek.uni-halle.de/dmg/periodical/titleinfo/93048

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