GESELLSCHAFT I Scheidungen

Seit Jahresbeginn hat China ein Zivilgesetzbuch. Darin wird auch das Scheidungsrecht neu geregelt. Die wichtigste Neuerung: Es gibt eine vierwöchige Cooling-Off-Periode nach Einreichung des Scheidungsantrags. Die Scheidungswilligen sollen während dieser Zeit nochmals überlegen, ob sie sich doch nicht wieder zusammenraufen wollen.  Die Regierung hofft durch dieses Instrument der Abkühlungs-Periode die Zahl der Scheidungen drastisch zu reduzieren. (Ähnliches gibt es auch in anderen Ländern: Südkorea/3 Monate, England/6 Wochen und Frankreich/15 Tage). Scheidungen passen nicht in das harmonische Familienbild, das in der konfuzianisch geprägten Gesellschaft immer noch dominiert. Und zudem konterkarieren sie die staatliche Bevölkerungspolitik. Denn China hat das Problem der Überalterung: immer mehr Alte, immer weniger Geburten. Letzteres hat gleich mehrere Ursachen: Zunahme der Singles – vor allem in den Städten, Späteres Heiraten aus Karrieregründen, Verzicht auf ein zweites Kind aus Kostengründen – und eben Scheidungen. Die Zahl auseinandergehender Ehepaare ist in den vergangenen Jahren gestiegen. 2019 ließen sich 4,15 Millionen Paare scheiden. Zum Vergleich: 9,47 Millionen Paare heirateten. Auf zwei Hochzeiten kommt also eine Scheidung. Um diese hohe Scheidungszahl zu reduzieren, wurde nun das Zivilrecht geändert. Die Cooling-Off-Periode war aber von Anfang an umstritten. Die Mehrheit der Bevölkerung schien dagegen zu sein, wenn man die Weibo-Kommentare als Maßstab nimmt. Sie glaubt, dass diese neue Regelung auf Heiratswillige abschreckend wirkt. Die Befürworter des neuen Gesetzes argumentieren, dass man dadurch spontane Entscheidungen zur Scheidung verhindern will. Rechtsexperte Long Jiun in „Legal Daily“: „Manche Ehepaare bekriegen sich am Morgen und lassen sich am Nachmittag scheiden.“ Die Delegierte des Nationalen Volkskongresses, Jiang Shengnan, widerspricht: Nur fünf Prozent der Scheidungen seien spontane Entscheidungen.

Ende der Diskussion. Das Gesetz ist zum Jahresbeginn in Kraft getreten. Erste Ergebnisse liegen vor. Die Stadt Wuhan meldet, dass in den ersten drei Monaten dieses Jahres die Zahl der Scheidungen um 70 Prozent zurückgegangen sind. Dieser Rückgang kann aber auch durch absichtliche bürokratische Langsamkeit bedingt sein. Denn – so die Erfahrung Scheidungswilliger in Wuhan – selbst nach Ende der Abkühlungsperiode dauere es Wochen, bis die Anträge behandelt würden.  Die Macht der Bürokraten spüren Antragsteller in Guangzhou.  Das dortige Civil Affairs Bureau hat festgelegt, dass nur 330 Anträge am Tag eingereicht werden können. Diese wenigen Termine werden über ein Online-Buchungssystem vergeben. Da die Nachfrage das Angebot bei weitem übersteigt, ist ein regelrechter Schwarzmarkt für Scheidungstermine entstanden.

Bei allem Frust gibt es jedoch auch etwas Positives zu vermelden: Ein Gericht in Beijing verurteilte zum ersten Mal einen Mann dazu, seiner geschiedenen Frau eine Entschädigung für ihre Hausarbeit in all den Ehejahren zu zahlen.

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