GESELLSCHAFT I Impfpolitik

Vergangene Tage telefonierte ich mit dem Journalisten-Kollegen Frank Sieren in Beijing. Als erstes sagte er freudestrahlend: „Ich bin geimpft.“ Ende März waren in Beijing Diplomaten und Korrespondenten dran. Alles sei sehr unbürokratisch und effizient verlaufen. In der Kabine wartete eine Krankenschwester mit Übersetzer. „In 90 Sekunden war alles vorbei“.  Danach noch zu einer 30minütigen Beobachtung in einen Warteraum mit kostenlosem Essen und Getränken- das war´s.

Aber nicht nur bevorzugte Ausländer werden geimpft, sondern auch die heimische Bevölkerung im Alter zwischen 18 und 59 Jahren. Die Impfmaschinerie, die in China erst langsam angefangen hat, kommt nun immer mehr in Fahrt. Wurden im Februar nur 1,5 Millionen Menschen täglich geimpft, so waren es Ende März fast sechs Millionen. Anfang März hat Vizepremier Sun Chunlan in einer Videokonferenz die lokalen Behörden die regionalen und lokalen Behörden in die Pflicht genommen. „Ensure that the vaccination goals and tasks are completed on schedule”, forderte sie.

Die Ziele sind inzwischen klar definiert: Bis zur Jahresmitte sollen 40 Prozent der Bevölkerung geimpft sein. Das wären immerhin 560 Millionen Menschen, bis Mitte 2022 sollen dann 70-80 Prozent aller Chinesen sein. Dann wäre wohl die berühmte und erhoffte Herdenimmunität erreicht. Gao Fu, Chef des Center for Disease Control (CDC), sagte gegenüber dem Sender CGTN: „We hope that China can take the lead in achieving herd immunity in the world.”

Doch auf dem Weg dorthin gibt es vor allem zwei Probleme zu lösen. Da ist zum einen die zögernde Bevölkerung. Xie Youhua, Virologe an der Fudan Universität in Shanghai, sagt: „Ordinary people may not feel an urgent need to get the vaccine.” Der Fluch des Erfolges: Da sich das Leben in China schon fast normalisiert hat, sehen viele nicht die Notwendigkeit, sich impfen zu lassen. Die Behörden reagieren auf diese lasche Einstellung mit Zuckerbrot und Peitsche. Letztere spüren vor allem Staatsbedienstete, die Sanktionen befürchten müssen, wenn sie sich nicht impfen lassen. Dem normalen Bürger droht bei Impfverweigerung ein negativer Eintrag im „Health Code System“, was den Zugang zu Kinos, Restaurants und vor allem Verkehrsmitteln versperren würde. Zuckerbrot hingegen bekommen zum Beispiel die 1,8 Millionen Bewohner des Beijinger Bezirks Daxing in Form von Gutscheinen, die sie bei Lebensmittel-Filialisten einlösen können.

Zweites Problem bei der Erreichung der ambitionierten Impfziele: Steht genügend Impfstoff zur Verfügung? Vier wurden bislang zugelassen: Zwei von Sinopharm, jeweils einer von Sinovac und CanSino, wobei die Effizienzquoten der vier Stoffe deutlich auseinander liegen. Ein fünfter Impfstoff (entwickelt von der Chinese Academy of Sciences und Anhui Zhifei Longcom Biopharma) hat vor kurzem eine Notfall-Zulassung erhalten und 17 weitere sind in der Forschungs-Pipeline. Die Unternehmen mit den zugelassenen Vakzinen haben bislang folgende Produktionsziele ausgegeben: Sinopharm will dieses Jahr rund eine Milliarde Dosen herstellen, Sinovac gar zwei Milliarden und CanSino 500 Millionen. Das würde ausreichen, um alle Chinesen zu impfen – und es wäre sogar noch einiges für den Export übrig – Stichwort: Impfdiplomatie.

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