CHINAHIRN fragt…Eberhard Sandschneider, Politik-Professor

Eberhard Sandschneider (66) ist einer der erfahrensten China-Experten Deutschlands. Er ist kein Sinologe, sondern Politologe. Von 1998 bis 2020 war er Professor an der FU Berlin mit dem Schwerpunkt Politik Chinas und Internationale Beziehungen. Parallel dazu war er von 2003 bis 2016 Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Seit Oktober 2020 ist er Partner bei Berlin Global Advisors. 

Gerade ging das erste Spitzentreffen China-USA in Anchorage zu Ende. Ihr Urteil?

Beide Seiten sind offenbar mächtig auf Krawall gebürstet. Die Chinesen sind nicht bereit sich vorführen zu lassen, sie halten offensiv dagegen. Auf Seiten der USA kann man deren aggressive Haltung nur mit der amerikanischen Innenpolitik erklären. China einzudämmen ist wahrscheinlich einer der ganz wenigen Punkte, wo es noch den berühmten „bipartisan consensus“ gibt. Was China anbetrifft, liegen Demokraten und Republikaner nicht weit auseinander. Die amerikanische Außenpolitik ist unter Biden sicher berechenbarer geworden, aber auch ein Stück weit aggressiver. Das Stichwort heißt ganz eindeutig: Eindämmung. In der amerikanischen Think-Tank-Diskussion beobachtet man die Verschärfung der China-Politik schon seit Monaten.

Aber wohin soll diese Eindämmungspolitik führen?

Eindämmungspolitik gegenüber China funktioniert nicht. Dazu ist das Land viel zu groß. Ein Land wie China wirtschaftlich einzudämmen oder zu Tode zu rüsten – wie das einst Ronald Reagan gegenüber der Sowjetunion forderte – das ist schlicht Unfug.

Biden fordert eine Allianz der Demokraten gegen China. Bekommt er die?

Ob die am Ende zustande kommt und ob sie tragfähig sein wird – da habe ich meine Zweifel. Denn ich sehe doch gewaltige Interessenunterschiede auch unter den Demokratien.

Zu dieser Demokratie-Allianz gehört natürlich auch die EU. Die EU-Kommission hat im März 2019 ihr berühmtes China-Papier veröffentlicht, in dem sie China als Partner, Wettbewerber und systemischen Rivalen bezeichnet. Kann man daraus eine Strategie entwickeln?

Nein, überhaupt nicht. Was dort formuliert wurde, ist eine Banalität. Es reflektiert aber das Paradoxon, das China für uns ist. Eine Wertegemeinschaft mit China werden wir nicht haben, insofern gilt die systemische Rivalität. Wirtschaftlich ist China inzwischen ein Wettbewerber. Und gleichzeitig ist das Land ein dringend benötigter Partner, wenn es um die Lösung globaler Probleme geht, wie zum Beispiel bei der Begrenzung nuklearer Aufrüstung oder der Bekämpfung des Klimawandels. Dieses Paradoxon in eine balancierte Strategie zu bringen ist eine große Herausforderung für die gesamte  EU, aber auch für die einzelnen EU-Staaten.

Wird denn dieses – strategisch noch indifferente – Europa die USA gegen China unterstützen?

Tatsache ist, dass Europa nicht mit einer Stimme gegenüber China spricht. Ungarn ist das klassische Beispiel für eine ausgesprochen China-freundliche Politik. Italien ist der chinesischen Seidenstraßen-Initiative beigetreten. Aber die Amerikaner werden den Europäern Angebote machen. Noch geht Biden mit der amerikanischen Sanktionspolitik sehr vorsichtig um. Das ist aber sein Druckmittel. Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass wir von beiden Seiten umgarnt werden. Auch die Chinesen buhlen um die EU. Siehe das EU-Investitionsabkommen, das kurz vor Jahresende abgeschlossen wurde.  Die Chinesen wollen damit verhindern, dass die Europäer ins amerikanische Lager einschwenken. Das ist noch ein offenes Rennen. Hier wird Machtpolitik gespielt.

Welche Rolle wird Deutschland dabei spielen?

Über Biden, der auf Allianzen setzt und die transatlantischen Beziehungen wiederbeleben will, frohlocken natürlich alle Transatlantiker. Bei ihnen ist die Hoffnung groß, dass mit Biden nun alles besser wird. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass dieser Euphorie ein mächtiger Katzenjammer folgen wird. Ich erinnere mich noch sehr genau an den Morgen nach der Wahl von Barack Obama, als viele auf ein Reset der transatlantischen Kooperation setzten. Und was ist passiert? Nichts ist passiert. In der Sache war Obama genauso fordernd gegenüber den Europäern wie sein Vorgänger Bush. Und das wird bei Biden nicht anders sein. Er wird – neben dem Zwei-Prozent-Ziel bei den Rüstungsausgaben und dem Ende von Nordstream – auch fordern, dass wir uns der Eindämmung Chinas anschließen.

Wir werden ja eine Fregatte Richtung Asien schicken…

Die deutsche Fregatte – sofern sie denn überhaupt ankommt – wird sicher das geopolitische Machtverhältnis im West-Pazifik komplett verändern. Aber im Ernst: Das ist die falsche Politik und nur reine Symbolpolitik.

Wie sieht denn eine richtige deutsche China-Politik aus?

Die Bundeskanzlerin hat vieles richtig gemacht, ist mittlerweile sehr pragmatisch geworden, aber auch sehr schweigsam. Sie hat begriffen, was für eine Bedeutung China für uns hat. Sie weiß zum Beispiel um die Rolle Chinas für die deutsche Automobilindustrie. Dagegen stehen unsere Werteinteressen. Zwischen diesen beiden Polen muss eine China-Politik lavieren.

Wird der oder die Merkel-Nachfolger(in) deren China-Politik fortsetzen?

Zunächst gibt es noch wichtige unbeantwortete Fragen: Werden wir nach der Bundestagswahl einen christdemokratischen Kanzler haben? Und was bedeutet es, wenn wir einen grünen Außenminister haben werden? Wenn ich mir die China-kritischen Debatten bei den Grünen anschaue, dann mache ich mir schon etwas Sorgen. Andererseits: Auch ein Joschka Fischer ist ein sehr pragmatischer Außenminister geworden. Ich habe die Hoffnung, dass sein Nachfolger eine ähnliche Erfahrung im Amt machen wird.

Der noch amtierende Außenminister Heiko Maas hat ja kürzlich ein Indo-Pazifik-Papier veröffentlicht. Um den Begriff Indo-Pazifik ist inzwischen ein regelrechter Hype entstanden. Wie kam es dazu?

Es fing mit dem „Pivot to Asia“ unter Barack Obama an. Mit diesem Schwenk nach Asien wollte Obama die Außen- und Verteidigungspolitik stärker auf Asien fokussieren. Das setzte sich in der Trump-Administration fort, die den Terminus Indo-Pacific geprägt hat. Der Begriff hat sich inzwischen durchgesetzt und ist der Versuch Indien und Australien in eine Kooperation mit den USA einzubinden. Und diese richtet sich hauptsächlich gegen China.

Treibt man mit dieser Eindämmungspolitik China nicht in die Arme Russlands?

Die derzeitige US-Außenpolitik richtet sich gegen Russland und China. Es kommt deshalb zu einer neuen Frontbildung in einem sich abzeichnenden kalten Krieg: Demokratien hier, Autokratien dort. Man treibt aber nicht China in die Arme Russlands, sondern Russland in die Arme Chinas. Für die Chinesen sind die Russen eher der Juniorpartner. Zwischen beiden Ländern werden aber neue Kooperationsmuster entstehen.

Sie nennen es Kalten Krieg?

Diesen Begriff kann man auf zweierlei Arten definieren. Wenn sie ihn historisch definieren, dann gibt es den Kalten Krieg von 1947 und 1989. Aber wenn sie ihn systematisch definieren wollen, dann ist ein kalter Krieg jegliche Form der kritischen Auseinandersetzung von zwei Mächten unterhalb der Schwelle des heißen Krieges. Nach dieser Definition ist natürlich die Konfrontation des Westens mit China und Russland ein kalter Krieg.

Und könnte daraus ein heißer Krieg werden?

Im Rahmen der siebten US-Flotte operieren zwei amerikanische Flugzeugträger in unmittelbarer Nachbarschaft von China. Konfliktpotential ist also da. Aber es können auch Zufallskonflikte entscheidend sein. Im November 2019 kamen sich zum Beispiel eine amerikanische und chinesische Fregatte im Südchinesischen Meer bis auf 45 Meter nahe. Wenn da einer einen Fehler macht, ist die Karambolage da und die Situation eskaliert viel schneller, als man gucken kann. Dieses Eskalationspotential macht mir große Sorgen.

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