Ende 2010 lebte Ilker Gündogan in Nürnberg. Sein Bruder Ilkay spielte beim 1. FC Nürnberg in der Bundesliga, er selbst hielt sich bei den Amateuren des Clubs fit. Ob es auch bei ihm zu einer Fußball-Karriere reichen würde, war damals nicht klar. Der damalige Trainer René Müller sagte zu ihm: „Junge, Du hast doch was im Kopf. Mach was aus deinem Leben.“ Kopf oder Fuß – das war für den 22jährigen Ilker die Frage.
Just zu der Zeit meldete sich ein Schulkamerad aus Gelsenkirchener Zeiten, er sei gerade zu einem Auslandssemester in Shanghai. „Wenn du Zeit und Lust hast, komm doch vorbei.“ Um die Jahreswende 2010/2011 – es war gerade Winterpause im Spielbetrieb – fuhr er spontan dorthin und anschließend nach Hongkong und Macau. „Es hat sich eine Art Liebe auf den ersten Blick entwickelt. Es hat mich dort einiges fasziniert, unter anderem die Sprache.“
Zurück in Nürnberg kaufte er sich ein Buch „Chinesisch für Anfänger“. Und Im Sommersemester 2011 begann er das Chinesisch-Studium an der Ruhr-Universität Bochum (RUB). Die Reaktion im Hause Gündogan? „Mein Vater hatte schon gewisse Geschäftsbeziehungen zu China, er war schon mal für ein paar Monate in Nanjing.“ Der Rest der Familie – Mutter und Bruder – fragte sich: Was will der jetzt mit China? Das ist doch alles sehr weit weg.
Während sein Bruder Ilkay weiter als Fußballer Karriere machte, büffelte Ilker Chinesisch und studierte Chinas Geschichte und politisches System. An der RUB machte er seinen Bachelor und seinen Master, jeweils begleitet durch Auslandssemester in Beijing und Shanghai. „Für mich war klar, dass ich das durchziehe,“ sagt Gündogan, „die Motivation, die ich einst für den Fußball hatte, hatte ich auf das Studium übertragen.“ Aber der Fußball hat ihn auch im Studium nicht losgelassen. Seine Masterarbeit schrieb Ilker über Fußball in China, und das Thema seiner Doktorarbeit lautet: „China´s Football Politics: Institutional Changes and Political Steering in the era of Xi Jinping.“
Doch er will nicht, dass man seine wissenschaftliche Arbeit nur auf den chinesischen Fußball reduziert. „Mein Spektrum ist viel breiter gefächert“, sagt er und verweist darauf, dass er sich auch mit der Digitalisierung und Finanzpolitik Chinas beschäftigt.
Derzeit ist Ilker Gündogan Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung und als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der RUB tätig. Ende des Jahres will er mit der Promotion fertig sein. Und dann? „Ich würde sehr gerne die wissenschaftliche Karriere fortsetzen“, sagt er, „aber da gibt es viele Unwägbarkeiten, das lässt sich nicht so einfach planen.“
Und inzwischen spielt er auch wieder Fußball. Vor zwei Jahren stieg er beim TuS Querenburg ein, einem Verein ganz in der Nähe der Uni. Er wählte den Verein auch deshalb, weil dieser ein soziales Projekt zur Integration von Flüchtlingen betreibt. Beim Kreisligisten TuS Querenburg ist Ilker Gündogan inzwischen Co-Trainer und Stürmer.
Sein Bruder Ilkay spielt dagegen bei Manchester City, dem englischen Tabellenführer, und ist in der Form seines Lebens.