China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn Letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine Old China Hand vorgestellt: Thomas Awe (67).
Er redet und redet. Es sprudelt förmlich aus ihm heraus. Seine Frau mahnt ihn manchmal: „Du redest ja wie ein Wasserfall, den man nicht mehr zudrehen kann.“ Aber wenn Thomas Awe mal im Fluss ist, gibt es kein Halten mehr. Vor allem wenn er über Ostasien – seine zweite Heimat – redet. Seoul, Manila, Shanghai, Beijing und Tokyo – das waren die Stationen seines langen Berufslebens, das er ausschließlich bei der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) verbrachte. Ich kenne niemanden, der mehr Vorort-Erfahrung in Ostasien hat als Thomas Awe.
Dabei hat er sich in jungen Jahren für eine andere Region Asiens interessiert: Indien, die Heimat des Buddhismus. Deshalb wollte er Mitte der 70er Jahre Indologie und Buddhismuskunde in Göttingen studieren. Aber dort riet man ihm ab: „Was wollen Sie denn mit diesem Studium machen? Studieren Sie doch lieber Sinologie.“ Was Awe dann tat. Zweimal führte ihn sein Studium nach Taiwan, einmal mit der Transsib. Aber was macht ein fertiger Sinologe Anfang der 80er Jahre? Awe war Stipendiat der KAS und fragte dort nach. Antwort: Wir haben da was in Südkorea. Also zog er im Juni 1982 mit seiner damaligen taiwanesischen Frau nach Seoul. Südkorea war damals ein Billiglohnland und – wie Awe es nennt – eine Demokratur, die sich aber während seines achtjährigen Aufenthalts zu einer Demokratie entwickelte. 1990 dann der Umzug in die philippinische Hauptstadt Manila. „Bei minus 20 Grad flogen wir in Seoul los, bei plus 30 Grad kamen wir in Manila an.“ Nicht nur klimatisch ein Schock, auch vom Lebensgefühl – vom ernsten Korea auf die leichtlebigen Philippinen, wo er sechs Jahre verbrachte. Aber irgendwann muss man eine Schleife in der KAS-Zentrale in St. Augustin drehen: Zwischen 1996 und 2000 war Awe dort Referatsleiter Ostasien und „las die Berichte, die ich früher im Ausland selbst geschrieben habe“. 2000 stellte sich die Frage: What´s next? Seoul war wieder frei. Aber es gibt die Regel: Nicht zweimal an den gleichen Ort. Dennoch konnte Awe schließlich erneut nach Korea. Er kam in ein anderes, ein selbstbewussteres Südkorea. Nettes Aperçu: Der chinesischen Familie seiner zweiten Frau sagte er, sie würden nach Korea umziehen. „Die dachten doch tatsächlich wir gehen nach Pyongyang, der Hauptstadt Nordkoreas.“ Um so erleichterter waren seine Frau samt ihrer Familie, dass er nach dem zweiten Südkorea-Aufenthalt 2005 ins KAS-Büro nach Shanghai wechselte. Ein Hauch von Liberalität wehte damals durch China. Ereignisse wie Olympische Spiele 2008 und Expo 2010 schürten Hoffnung auf Öffnung. 2011 wechselte Awe nach Beijing und 2017 nach Tokio: „Das war für mich der Höhepunkt“. Er war dort aber nur zwei Jahre, „denn ich wurde irgendwann 65“. Am 11. April 2019 wurde er auf einer Mitarbeiterkonferenz in Seoul, wo alles anfing, würdevoll verabschiedet. Am 1. Mai 2019 landete er in Hannover, seiner Heimatstadt: „Da wollte ich auch hin.“ Fast 40 Jahre Asien hat er hinter sich. Die Frage muss kommen: Was bleibt? „Eine wichtige Erkenntnis für mich ist: Alle Ostasiaten können mit Widersprüchen, die nebeneinander stehen bleiben, leben.“ Ansonsten: „Ich bin dankbar, dass ich wichtige Entwicklungen dieser spannenden Region live miterleben durfte.“