POLITIK I Ist 17 + 1 tot?

Es sollte ein richtig großer Gipfel werden. Die Staats – und Regierungschefs aus 17 mittel- und osteuropäischen Ländern waren an diesem Dienstag online zu einem Spitzentreffen mit Chinas Staatschef Xi Jinping verabredet. Einmal im Jahr trifft sich diese Runde im 17+1-Format (siehe CHINAHIRNLexikon). Bislang hat auf chinesischer Seite „nur“ Ministerpräsident Li Keqiang teilgenommen, doch dieses Mal wollte Xi durch seine Anwesenheit das Format aufwerten. Und dann das: Vier Staaten – Estland, Litauen, Rumänien und die Slowakei – schickten nur „zweitklassige“ Minister vor die Monitore. Ein Affront, der zeigt, wie umstritten die 17+1-Gespräche auch inzwischen innerhalb der osteuropäischen Staaten sind. Bis vor kurzem war 17+1 noch das große Schreckgespenst, das viele im westlichen Europa an die Wand malten. China wolle Europa spalten, hieß häufig der Vorwurf. Das Gespenst war offenbar ein Popanz. Der Trierer Professor Sebastian Heilmann schreibt in seinem Essay „Die Seidenstrassen-Illusion“, dass das 17+1-Format „in seiner realen politischen und wirtschaftlichen Bedeutung deutlich überschätzt“ wird. Eine Meinung, die die polnische Wissenschaftlerin Alicja Bachulska teilt. Sie ist China-Analystin an der War Studies University in Warschau. Sie beschreibt die Entwicklung der 17+1-Gespräche so: Einer ersten kurzen Romanze hätte eine – bis heute anhaltende – Ernüchterung gefolgt. Und sie belegt das mit Zahlen. Chinas gesamte Investitionen in die CEE-Staaten seien geringer als Chinas Investitionen in Finnland.  Die tschechische Politikwissenschaftlerin Ivana Karásková analysiert: „Die Beziehungen sind asymmetrisch. China profitiert stärker von dem Format.“ Deshalb hätte sich in den vergangenen zwei Jahren „eine gewisse Enttäuschung über Chinas Wirtschaftsversprechen breit gemacht“.

Ist 17+1 deshalb neun Jahre nach seiner Gründung schon wieder tot? Analyst Noah Barkin (German Marshall Fund) hat im Herbst letzten Jahres in seinem monatlichen Newsletter für einen Artikel die Überschrift gewählt: „The Slow Death of 17+1“. Da ist was dran. Viele Staaten sehen China inzwischen anders als noch vor ein paar Jahren.

Hier eine Übersicht: Neben den drei kritischen baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen hat inzwischen auch das eher USA-freundliche Polen eine zumindest ambivalente Haltung zu China eingenommen. So gibt es unter den 17 Ländern eigentlich nur zwei China-treue Staaten: Serbien und Ungarn. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán benutzt die China-Connection, um gegenüber Brüssel zu zeigen: Seht her, ich habe ja eine Alternative. Außerdem profitiert Ungarn schon seit Jahren von chinesischen Investments. Gerade hat Lenovo den Bau einer Fabrik nahe Budapest angekündigt. Serbien würde gerne EU-Mitglied werden, aber die Verhandlungen ziehen sich. So lange spielt Aleksandar Vučić die chinesische Karte. Serbien kauft Militärgerät in Waffen, hat gerade ein Memorandum of Understanding für den Kauf chinesischer Züge auf der Strecke Belgrad-Novi Sad unterschrieben und lässt im Norden des Landes von den Chinesen eine neue Autobahn bauen. Als im Frühjahr die ersten Hilfslieferungen aus China in Belgrad eintrafen, eilte Vučić zum Flughafen und küsste die chinesische Flagge. Anschließend twitterte er: „Lang lebe unsere stählerne Freundschaft“. Ähnliches hätte auch Miloš Zeman, der Präsident Tschechiens, sagen können. Der 76jährige gilt als großer Chinafreund, aber auch als Auslaufmodell. Das jüngere Führungspersonal des Landes tickt anders. Zdenek Hřib, Prags OB, und Milos Vystrčil, der Senatspräsident, reisten sogar im Sommer 2020 nach Taiwan. Seitdem sind die chinesisch-tschechischen Beziehungen ziemlich frostig. Die Regierung schloss China General Nuclear Power Group (CGN) vom Tender für das Kernkraftwerk Dukovany aus. Ähnlich ticken Bulgarien und Rumänien. Beide Länder sprachen sich gegen Huawei aus. Rumänien untersagte zudem der CGN den Bau des Kraftwerks Cernavoda. Slowenien sagte Nein zur chinesischen Beteiligung am Bau eines zweiten Gleises auf der Bahnstrecke Koper-Divača. Die Slowakei zählt inzwischen zu den schärfsten Kritikern des chinesischen Regimes. Insbesondere Präsidentin Zuzana Čaputová, Anwältin und Umweltaktivistin, äußert sich immer wieder negativ über Chinas Umgang mit den Menschenrechten. Nur Montenegro greift auf chinesische Hilfe zurück. Für 1,8 Milliarden Euro bauen die Chinesen die Autobahn einmal quer durchs Land von der Küstenstadt Bar nach Boljare an der serbischen Grenze.

Das chinesische Engagement war sicher auch eine Folge des Nicht-Engagements der EU, die vor allem den West-Balkan – von Brüssel aus gesehen – links liegen ließ. Doch das hat sich inzwischen geändert. Anfang Oktober verkündete die EU-Kommission einen West-Balkan-Plan. Neun Milliarden Euro will Brüssel in den kommenden Jahren vor allem in Energie- und Verkehrsinfrastruktur der Region investieren. Spät, aber nicht zu spät.

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