Der Drache stirbt nicht aus. Auf Titelseiten deutscher Medien treibt er immer noch sein Unwesen. Eben hat er es wieder speiend und krallend auf die Frontpage des SPIEGEL geschafft: der Drache als Dämon, als alles verschlingendes Ungeheuer, das er übrigens in der chinesischen Mythologie gar nicht ist. Aber egal. Der Drache passt halt gerade zu unserem China-Bild. Er ist grimmig, böse und aggressiv. So wie China derzeit in der öffentlichen Diskussion in Deutschland häufig dargestellt wird.
Aber wer bestimmt eigentlich den Diskurs über China in Deutschland? Ein paar wenige Politiker, Medienschaffende und Thinktanks. Wir brauchen aber eine China-Diskussion auch außerhalb dieser Echokammern. Wir brauchen mehr Politiker, die sich mit China beschäftigen. Transatlantiker haben wir genug. Wir brauchen auch Manager und Unternehmer, die sich in die Diskussion einbringen und erklären, wie sie China sehen und warum sie trotz aller negativen Darstellungen in China sind. Denn niemand hierzulande kennt China wohl besser als die Wirtschaftsvertreter, aber sie machen Gewinne und schweigen. Rühmliche Ausnahme: Trumpf-Chefin Nicola Leibinger-Kammüller, die sich kürzlich den FAZ-Fragen zu China stellte. Wir brauchen zudem Wissenschaftler, die ihre Elfenbeintürme verlassen und ohne Scheuklappen analysieren. So wie es gerade der Trierer Professor Sebastian Heilmann mit seinem Essay über Chinas Seidenstraßen-Ambitionen getan hat. Wenn man diesen Text gelesen hat, hat man nicht den Eindruck, dass die Chinesen kurz vor Wien stünden. Und wir brauchen Medien, die diesen offenen China-Diskurs fördern statt immer nur die ewig-gleichen Kommentare zu veröffentlichen.
Genug gefordert, ab jetzt wird gelobt: zum Beispiel die beiden Professoren Jürgen Gerhards (Soziologie) und Michael Zürn (Politologie) – beide keine expliziten China-Freunde – die einen differenzierten Aufsatz zum Systemwettbewerb mit China geschrieben haben (siehe dazu das Interview mit Jürgen Gerhards). Kleines Lob für die FAZ, weil sie diesen abgedruckt hat. Nur ein kleines Lob, weil sie den Artikel auf die hinteren Seiten in die Rubrik „Forschung und Lehre“ verbannt hat. Lob auch für den Alt-Gewerkschaftler Wolfgang Müller, der ein Buch über China geschrieben hat, in dem er positive wie negative Entwicklungen des Landes beschreibt. Auch hierzu ein Interview mit dem Autor.
Apropos Buch: Falls jetzt jemand versehentlich oder gar absichtlich mein erstes, 2005 erschienenes Buch „Herausforderung China“ verstaubt aus dem Regal ziehen sollte, wird er darauf einen Drachen entdecken. Bitte mir nicht um die Ohren hauen. Ich bin unschuldig. Das war der S. Fischer Verlag. Ich war nur für die Buchstaben zwischen den Einbanddeckeln zuständig.
Wolfgang Hirn