Es war um 1.30 Uhr morgens, als die 22jährige Frau, von der man nur den Nachnamen Zhong kennt, von der Arbeit nach Hause ging. Plötzlich brach sie zusammen. Sechs Stunden später starb sie im Krankenhaus. Und es dauerte nur wenige weitere Stunden, bis der Fall China-weit in den sozialen Medien diskutiert wurde. Per Ferndiagnose wurde dort diagnostiziert: typischer Fall von Überarbeitung. Man habe es ja immer gewusst: Gerade bei den Technologieunternehmen werden die gesetzlichen Regelungen der Arbeitszeit nicht eingehalten und die Mitarbeiter ausgebeutet. Frau Zhang arbeitete bei einem Tochter-Unternehmen von Pinduoduo, dem Shooting Star im E-Commerce-Business.
In diesen Unternehmen – von Alibaba über JD.com bis eben Pinduoduo – wird seit 2019 von einer ominösen Zahlenkombination geredet: 996. Diese bedeutet nichts anderes als von 9 bis 21 Uhr zu arbeiten, und das an sechs Tagen die Woche. Das macht zusammen 72 Stunden die Woche. Gesetzlich erlaubt sind aber – siehe Artikel 36 im Arbeitsrecht – im Schnitt nicht mehr als 44 Stunden pro Woche.
Wer geglaubt hat, 996 sei schon eine unmenschliche Forderung, der wurde vor kurzem eines Besseren bzw. Schlechteren belehrt. Ein Manager – der CEO der Restaurantkette Xibei – brachte eine weitere, brutalere Zahlenkombination ins Spiel: 715. 15 Stunden am Tage arbeiten, 7 Tage die Woche.
Doch angesichts dieser immer skurrileren Zahlenspiele formiert sich eine Gegenbewegung, vor allem in der Generation Z (den nach 1990 Geborenen). Sie nennen es „touching fish“, auf Chinesisch: „mo yu“. Dies basiert auf dem chinesischen Sprichwort: „muddy waters make it easy to catch fish“. Sie pochen nicht auf ihre Rechte, ihr Widerstand ist subtiler und subversiver. Zum Beispiel mittelmäßige Arbeit abliefern, während der Arbeit auf dem Handy spielen oder längere Toilettenbesuche.
Die stillen Örtchen entwickeln sich immer mehr zum Schauplatz des innerbetrieblichen Arbeitskampfes. Bei Anpu Electric in Dongguan bestraft das Management diejenigen, die zweimal während des Acht-Stunden-Arbeitstages auf die Toilette gehen. Der Streamingdienst Kuaishou installierte Timer auf den Toiletten, um den „Stuhlgang“ zeitlich zu begrenzen. Der Internetkonzern NetEase blockiert den Internetzugang auf den Toiletten. Und JD.com war am radikalsten: Der E-Commerce-Händler reduzierte einfach die Zahl der stillen Örtchen.