Kürzlich sah Xifan Yang eine alarmierende Statistik: Die Zahl der Korrespondenten in China ist seit 2011 um ein Drittel zurückgegangen. „Das hat mich wirklich schockiert“, sagt sie. China wird immer wichtiger, die Korrespondenten immer weniger. Xifan Yang ist nicht nach China gegangen, sie ist zurückgekommen., und das gleich mehrmals. Die 32jährige ist seit Sommer 2018 Korrespondentin der ZEIT. Eine Pendlerin zwischen der chinesischen und der deutschen Welt.
Geboren wurde sie in der Provinz Hunan. Ihre Mutter folgte 1990 ihrem Vater – beide sind Chemiker – nach Freiburg. Xifan blieb zurück, lebte bei ihren Großeltern in Pingxiang in Südchina. Im November 1992 kam ihre Mutter dorthin zurück, um sie nach Deutschland zu holen. Sie versteckte sich im Schrank: „Ich will nicht nach Deutschland.“ Am Morgen des 15. November 1992 landete sie in Frankfurt. Sie war in der badischen Provinz die einzige Ausländerin an der Grundschule und musste kindische Hänseleien ertragen: „Ping-Pong, Fidschi, Hundefresserin“. Ihre Reaktion: „Ich wollte so „deutsch“ sein wie nur möglich. Ich wollte nichts mehr mit China zu tun haben, das mir als Kind armselig und hinterwäldlerisch vorkam, für das ich mich in gewisser Weise auch schämte, wenn mich jemand fragte, wo ich eigentlich herkam. Lange Zeit verfluchte ich meinen Namen.“
Im Herbst 2006 begann sie ein Psychologiestudium in München an der LMU. Es ödete sie an. „Es war sehr statistiklastig, das hatte ich mir anders vorgestellt.“ Zudem holte sie ihre Vergangenheit ein: „Immer öfter dachte ich an China: mir wurde bewusst, wie wenig ich über das Land wusste, in dem ich geboren wurde.“ In den folgenden drei Jahren fuhr sie jeden Sommer nach China. Durch Zufall bewarb sie sich um ein Praktikum bei jetzt.de, dem jugendlichen Ableger der Süddeutschen Zeitung. Sie war so gut, dass sie dort als Pauschalistin übernommen wurde – und das Studium schmiss.
Es folgte eine Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München. In deren Rahmen machte sie ein Praktikum beim damaligen Stern-Korrespondenten Janis Vougioukas in Shanghai. „Diese drei Monate waren sehr inspirierend für mich.“
Sie entschied, nach China zurückzukehren. Im Juni 2011 zog sie als freie Reporterin nach Shanghai in eine 18-Quadratmeter-Bude im Französischen Viertel. „Das erste Jahr in China war das bis dahin aufregendste Jahr meines Lebens“, sagt sie. „2011 und 2012 meinte ich sogar politische Aufbruchstimmung zu wittern“. Und dann kam Xi Jinping an die Macht.
Sie blieb bis 2015 in China, schrieb viele Artikel und ein Buch über die Geschichte ihre Familie, aber auch Chinas. Dann ging es zurück nach München – auch aus privaten Gründen. Sie bekam einen Job beim SZ-Magazin. Besonders stolz ist sie auf das Ai-Weiwei-Porträt („Ich bin kein Berliner“) im August 2016. Das SZ-Magazin ist zwar einer der ersten Adressen im deutschen Journalismus, aber als die ZEIT-Korrespondentin Angela Köckritz unter abenteuerlichen Bedingungen China verlassen musste und die Hamburger Wochenzeitung eine Nachfolgerin suchte, überlegte Xifan Yang nicht lange. „Ich wollte immer zur ZEIT.“ Doch es brauchte seine Zeit bis sie Visum und Akkreditierung bekam. Im Juni 2018 flog sie zurück nach China, diesmal mit Dienstsitz Beijing. Es war ein anderes China, in das sie zurückkehrte. „Es ist inzwischen viel schwieriger, mit Leuten zu sprechen.“ Sie bekommt häufig keine O-Töne mehr, viele reden nur noch anonym, manche nicht mal mehr das. „Ich habe viele spannende Interviews geführt, die ich nicht verwenden konnte.“
Das ist das eine Problem eines China-Korrespondenten. Das andere ist: Alleine dieses Riesenland zu covern, ist nahezu unmöglich. „Es gibt so viele Themen hier. Ich habe einen ganzen Zettel voll damit.“ Nur: Sie kommt nicht dazu, sie abzuarbeiten. 2019 und 2020 musste sie sich fast ausschließlich um die „Pflichtthemen“ Corona und Hongkong kümmern. Wie gerne würde sie öfter über menschelnde Themen aus der chinesischen Gesellschaft schreiben. Sie leidet unter diesem Manko.
Sie weiß, dass diese reduzierte, fast monothematische Berichterstattung ein schiefes Bild von China vermittelt. Im Gegensatz zu manch anderem Korrespondenten reflektiert sie diese Schlagseite. In ihrem Buch schreibt sie: „Wer China nur aus den Medien kannte, konnte den Eindruck bekommen, dass es sich um ein Reich des Bösen handelte, in dem die Mehrheit der 1,3 Milliarden Menschen ein Sklavendasein fristet.“
Vielleicht schaut sie differenzierter auf China, weil sie in beiden Welten zuhause ist. Ist sie Deutsche, ist sie Chinesin? „Inzwischen weiß ich, dass ich nicht das eine und nicht das andere bin. Vielmehr bin ich beides.“
Info:
Das Buch von Xifan Yang „Als die Karpfen Fliegen lernten“ ist im Verlag Hanser Berlin erschienen, hat 336 Seiten und kostet 19,90 Euro. Ihre Website lautet www.xifanyang.com