Was wussten Sie vor Ihrem Amtsantritt über Chengdu, und wie sah dann die Realität aus?
Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht viel mehr über Chengdu als dass es die Hauptstadt Sichuans und der Pandabären ist, in einem Talkessel liegt, der immer von Dunst und Luftverschmutzung bedeckt ist und noch vor wenigen Jahren eine der noch am „chinesischsten“ gebliebenen Großstädte mit dem schärfsten Essen Chinas war. Und natürlich, dass es eine ewige Konkurrenz mit der Nachbarstadt und Großagglomeration Chongqing gibt. Ich hatte kein echtes Bild von der Stadt. Im Prinzip ging es mir da ähnlich wie vor mehr als 20 Jahren, als ich 1997 an das Generalkonsulat Shanghai versetzt wurde. Das war damals vor dem kurz danach einsetzenden „Shanghai Hype“ und ich musste erst einmal mit einem Kollegen vor Ort sprechen um mir ein Bild von der Stadt zu machen.
In der Realität ist natürlich Chengdu viel mehr als nur Pandas! Eine vibrierende Metropole mit – je nach Rechnung – zwischen 15 und 18 Millionen Einwohnern, die nach dem schweren Erdbeben von 2008 geradezu explosionsartig gewachsen ist, aber sich dennoch Charme behalten hat. Was bleibt, ist eine immer noch die meiste Zeit zu hohe Luftverschmutzung, eine versteckte Armut bei der älteren Bevölkerung, vor allen in den ländlicheren Bezirken und natürlich die wachsende Einkommensschere zwischen der jungen aufstrebenden Mittelschicht und den Zurückgebliebenen, vor allem den Wanderarbeitern, die den Hochhausglanz bauen.
Wie unterscheidet sich Chengdu von Städten wie Beijing, Shanghai oder Guangzhou?
Chengdu hat trotz einer 2000jährigen Geschichte, in deren Mittelpunkt die 3 Königreiche stehen, weder die historischen Gebäude und Relikte Pekings, noch die Skyline Shanghais. Und mit Guangzhou verbindet Chengdu wenig, außer einer gewissen Gelassenheit der Bevölkerung. Chengdu gilt mittlerweile als eine der lebenswertesten Städte Chinas, mit einem gemäßigten Preisniveau auch auf dem Wohnungsmarkt (halb so teuer wie in Shanghai oder Shenzhen) und ohne die Hektik, die Shanghai prägt. Und die ringsum auf zwischen 3000 und 5000 Meter aufsteigenden Berge machen Chengdu neben den Pandas auch touristisch attraktiv. Trotz der Vorgaben aus Peking, enger mit der Nachbarstadt Chongqing mit ihren über 30 Millionen Einwohnern zusammenzuarbeiten, bleibt es ein ambitioniertes Ziel, dass sich die Stadt und Großregion tatsächlich zu einem neuen Wirtschaftspol im Westen Chinas herausbildet, der mit Shanghai und dem Perlflussdelta mithalten kann.
Chengdu gilt als trendige Metropole. Wie zeigt sich das?
In der Tat hat Chengdu eine vergleichsweise junge Bevölkerung, ähnlich wie Shenzhen, weil viele junge Leute aus der ländlichen Umgebung Sichuans in den letzten 10-15 Jahren in die Stadt gezogen sind. Sie verfügt angeblich über die größte Zahl von Bars, Clubs und Restaurants der Großstädte in China, eine vibrierenden Kunstszene, die wahrscheinlich avantgardistischer ist als im schon arrivierteren Shanghai. Und nicht zuletzt hat sich Chengdu in den letzten Jahren nach Shanghai zur zweiten Gay- und LGBT-Metropole in China entwickelt. Und weil die Sichuan Küche Chinaweit berühmt ist, hat sich hier auch eine vielleicht weniger luxuriöse, aber umso attraktivere Restaurantszene als in Shanghai entwickelt, die sich einer modernen Interpretation chinesischer Küchen und des berühmten Sichuan Hotpot verschrieben hat. Das sollte aber nicht vergessen machen , dass das alles nur erlaubt ist, wie auch die relative Kunstfreiheit, solange die von der Partei gesetzten Grenzen, die niemand wirklich kennt, nicht überschritten werden. Schnell einmal findet sich ein Blogger oder Künstler zensiert oder sogar auf der Anklagebank.