China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine Old China Hand vorgestellt: Björn Etgen.
Björn Etgen (58) sitzt im Home Office im oberbayrischen Wolfratshausen und brütet über ein Schiedsverfahren zwischen einem deutschen und chinesischen Unternehmen. Er wurde dieses Mal von der chinesischen Seite als Schiedsrichter benannt. Schiedsverfahren sind schon seit längerem die Spezialität des Anwalts, der in der Kanzlei GvW Graf von Westphalen (GvW) arbeitet. „Das macht inzwischen 60 Prozent meiner Arbeit aus,“ sagt Etgen.
Etgen gehört zu einem kleinen Kreis von deutschen Juristen, die sich schon sehr früh mit chinesischem Recht auseinandersetzten. Mitte der 80er Jahre studierte er erst in Tübingen, dann in Münster Jura. Dort leitete Professor Otto Sandrock das Institut für internationales Wirtschaftsrecht. „Er hatte immer Kontakte zu China“, sagt Etgen. Eines Tages kam eine Delegation aus Shanghai mit einem berühmten Professor nach Münster. Dieser Professor hatte noch in den 30er Jahren in Paris Jura studiert.„Das fand ich alles sehr interessant, und ich sah, dass in China große Umwälzungen stattfanden.“ Er fing neben Jura noch mit Sinologie an und er reiste 1985 mit einem Freund mit der Transsib nach China. Das Examen in Jura machte er, aber in Sinologie kam es nicht zum Abschluss. Das intensive Sprachstudium holte Etgen dann durch mehrmalige Aufenthalte in Taiwan nach. „Wenn man alles zusammenrechnet, war ich mehr als drei Jahre in Taiwan“.
Anfang 1992 weilte Etgen während seiner Referendarzeit drei Monate beim damaligen Deutschen Wirtschaftsbüro in Taiwan und dann noch drei Monate in Beijing, bei dem – legendären – Joachim Glatter in der Kanzlei Pünder Vollhard (ging später in der Anwaltsfabrik Clifford Chance auf). Später fing er dann auch bei Pünder Vollhard an, erst in Frankfurt, ab 1996 als Leiter des Büros in Beijing. Als Konkurrent Beiten Burkhardt auch ein Büro in Beijing eröffnet hatte, wechselte er in diese Kanzlei und baute das Beijinger Büro auf. 2005 ging er für Beiten Burkhardt nach Hongkong, wo er bis 2013 blieb. Dann machten die beiden Söhne Abitur, und Familie Etgen wollte zurück nach Deutschland. Es folgten noch drei Jahre bei Beiten Burkhardt in Deutschland, ehe er im Herbst 2016 zu der China Praxis bei der Kanzlei GvW wechselte.
„Am Anfang war ich ein Allrounder“, sagt er heute. Doch dann spezialisierte er sich auf das M&A-Business, also die juristische Beratung von Übernahmen und Investitionen von deutschen Firmen in China und umgekehrt. Und er engagierte sich immer mehr in Schiedsverfahren. In vielen internationalen Verträgen stehen heute Schiedsklauseln. Bei Streitigkeiten trifft man sich nicht vor einem ordentlichen Gericht, sondern vor einem Schiedsgericht. Das besteht bei größeren Streitigkeiten meist aus drei Schiedsrichtern: Je einem Schiedsrichter ernannt vom Kläger und Beklagten sowie dem/der Vorsitzenden. Warum macht man das? Schiedsverfahren haben mehrere Vorteile: Die Verfahren sind vertraulich, das heißt auch etwaige Geschäftsgeheimnisse der Firmen werden geschützt. Ferner können Schiedsurteile aufgrund eines UN-Abkommens leichter als Gerichtsurteile in China vollstreckt werden. Drittens ist keine Berufung oder Revision möglich. „Schiedsverfahren haben deutlich zugenommen“, sagt Etgen. Oft sind es Handelsstreitigkeiten, bei denen eine Partei mangelhafte Lieferungen beklagt.
Etgen bereut nicht, dass er sich für eine Karriere in und mit China entschieden hat. Im Gegenteil: „Es war eine spannende Zeit, die ich als Anwalt begleiten durfte“, sagt er. Er war beim Transrapid dabei, beim Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes der chinesischen Eisenbahn und bei vielen Joint-Ventures, unter anderen in der Autoindustrie. Er erlebte die Zeit des Aufbruchs in den 90er und Nuller Jahren mit der Hoffnung auf Transparenz und Offenheit. Doch jetzt macht sich eine gewisse Enttäuschung bei ihm breit: „Vieles wird zurückgedreht. Rechtsstaatlich kann man das nicht mehr nennen.“
Info:
Damit nicht der Eindruck entsteht, es gebe nur Björn Etgen, der sich seit langer Zeit juristisch mit China auseinandersetzt, hier noch eine Reihe anderer deutscher Anwälte, die in diesem Metier mindestens ebenso viel Erfahrung haben: Sabine Stricker-Kellerer (München, früher Freshfields, jetzt SKK) , Ralph Vigo Koppitz (Shanghai, früher Taylor Wessing, jetzt Shanghai Linie Investment), Ulrike Glück (Shanghai, CMS), Susanne Rademacher (Beijing, Beiten Burkhardt), Rainer Burkardt (Shanghai, Burkardt), Bernd-Uwe Stucken (Hamburg), Stefanie Tetz (Clifford Chance) und Joachim Glatter (Taylor Wessing). Ich werde sicher den einen/die eine oder andere (n) in den nächsten Ausgaben von CHINAHIRN noch etwas näher vorstellen, denn alle sind very old China Hands.