POLITIK I Westen gegen China?

Kaum war klar, dass Joe Biden der neue US-Präsident wird, wurden schon die Lobeshymnen auf beiden Seiten des Atlantiks angestimmt. Jetzt können wir wieder zu den alten Zeiten der transatlantischen Partnerschaft und Wertegemeinschaft zurückkehren, hieß es nahezu unisono. Politiker, erleichtert über das Ende der Ära des europafeindlichen Trump, beschwören vergangene Zeiten herbei. Think Tanks zogen Studien aus ihren Schubladen, die neue Formen der transatlantischen Kooperation fordern. 

Klar, es gibt viele Bereiche, wo EU und die Biden-USA gemeinsame Interessen haben und entsprechend kooperieren sollen und müssen: Klimaschutz, Stärkung des Multilateralismus,  Pandemiebekämpfung. Aber gilt das Kooperationsgebot auch gegenüber China? Müssen die EU und USA eine gemeinsame China-Politik betreiben? Eine interessante und notwendige Debatte, die gerade erst anfängt – im politischen wie im wissenschaftlichen Raum.  

Zwei amerikanischer Think Tanks haben sich mit soeben veröffentlichten Papieren schon mal klar positioniert. Das Center für American Progress mit “The Road to a Successful China Policy Runs Through Europe” und das Center for A New American Security (CNAS) und der German Marshall Fund mit ihrem Gemeinschaftsprodukt  “Charting a Transatlantic Course to Address China”.  Co-Autorin ist Julie Smith, frühere Sicherheitsberaterin Joe Bidens. 

In der Bundesregierung plädieren vor allem die beiden Transatlantiker, Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und Außenminister Heiko Maas, für ein gemeinsames Vorgehen von EU und USA gegen China. AKK schlug bei ihrer zweiten Grundsatzrede an der Helmut-Schmidt-Universität am 17. November in Hamburg vor, „dass wir Europäer der kommenden Biden-Administration ein gemeinsames Angebot, einen New Deal, vorlegen.“ Beim Thema China plädierte sie für „eine gemeinsame Agenda Europas mit den USA“.  

Heiko Maas veröffentlichte am 16. November zusammen mit seinem französischen Kollegen Jean-Yves Le Drian einen Beitrag in der Zeit, Le Monde und Washington Post. Gleich der erste Satz lautet: „Europa und Amerika brauchen einen transatlantischen New Deal.“ Zu China schreiben die beiden: „Gemeinsam müssen wir einen wirksamen Hebel finden, wie wir mit dem wachsenden Selbstbewusstsein Chinas umgehen.“

Aber müssen wir mit den USA gegen China gemeinsame Sache machen? Müssen die Europäer nicht eine eigenständige China-Politik betreiben? Es geht dabei nicht um Äquidistanz, also gleichen Abstand Europas zu China und den USA. Wir sind natürlich dem demokratischen Amerika viel näher als dem autoritären China. Aber wir sollten unsere Interessen schon klarer definieren, und zwar gegen China und die USA.

Das ist zum Beispiel die Position von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron. In einem sehr langen Gespräch mit dem Intellektuellenblatt „Le Grand Continent“ fordert er eine „strategische Autonomie“ für Europa, das sich nicht „zum Vasallen dieser oder jener Macht“ machen läßt. Macron: „Ich halte es für unabdingbar, dass unser Kontinent Mittel und Wege findet, für sich selbst zu entscheiden, sich auf sich selbst zu verlassen, nicht von anderen abhängig zu sein – und zwar in allen Bereichen, in technologischer Hinsicht, aber auch in Fragen der Gesundheits- und Geopolitik – und frei über seine Zusammenarbeit mit wem auch immer zu befinden.“ Im Bereich der Technologien müsse die EU „ihre eigenen Lösungen aufbauen, um nicht von einer amerikanisch-chinesischen Technologie abhängig zu sein“. 

Die Kanzlerin hat sich zu dieser Frage noch nicht geäußert. 

Info:

Artikel von Katrin Mulligan, Jordan Link und Laura Edwards (Center for American Progress): https://warontherocks.com/2020/11/the-road-to-a-successful-china-policy-runs-through-europe/

Studie von CNAS und GMF: https://www.cnas.org/publications/reports/charting-a-transatlantic-course-to-address-china

Die AKK-Rede in Hamburg: https://www.bmvg.de/de/aktuelles/zweite-grundsatzrede-verteidigungsministerin-akk-4482110

Das Macron-Interview gibt es hier in voller Länge (in deutsch): https://www.diplomatie.gouv.fr/IMG/pdf/interview_des_franzosischen_prasidenten_emmanuel_macron_in_der_zeitschrift_le_grand_continent_cle89ea15.pdf

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