China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine Young China Hand vorgestellt: Philipp Meyer.
Ich erwische Philipp Meyer (34) gerade am späten Nachmittag im Zug von Yangzhou nach Shanghai. In Yangzhou arbeitet er, in Shanghai wohnt er. Rund 300 Kilometer sind die beiden Städte voneinander entfernt. Meyer pendelt nicht jeden Tag. Meist ist er drei Tage die Woche am Stück in Yangzhou. Dort ist er CFO von JFY, einer 100prozentigen Tochter des Trumpf-Konzerns. Dort sind rund 600 Mitarbeiter beschäftigt, gerade mal vier davon sprechen Englisch. „Eine Herausforderung“, sagt Meyer. Aber er mag Herausforderungen.
Sein Großvater war einst für das Bremer Handelshaus Melchers in China. Darüber wurde in seinem Worpsweder Elternhaus ab und an gesprochen. Aber ansonsten war China für ihn weit weg. Bis er 2009 an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt sein Studium begann. „Ich wollte ganz normal BWL studieren.“ In einer der ersten Vorlesungen kündigte jedoch ein Professor an, dass die Uni künftig auch ein Doppel-Bachelor-Studium anbieten werde – zwei Jahre Ingolstadt, bis zu zwei Jahre Shanghai (Tongji Universität). Wer hat Interesse? Sechs Hände erhoben sich, darunter die von Meyer – und einer Kommilitonin, die später seine Frau werden sollte.
Um sicher zu gehen, ob China was für ihn ist, machte er im Sommer 2009 ein Praktikum bei VW in Beijing. Einer der damaligen Vorstände sprach Chinesisch. „Das hat mich unheimlich beeindruckt“. Er fing an Chinesisch zu lernen und hörte nicht mehr auf. Ob im Bachelor-Studium an der Tongji oder im Master-Studium an der Beida – er paukte stets Chinesisch. Und dann hing er noch eine Promotion zum Thema Steuerliche Gestaltung deutscher Direktinvestitionen in China dran. Mehr China-Expertise geht nicht.
Als der Maschinenbauer Trumpf einen Referenten für die Geschäftsführung mit Schwerpunkt China suchte, war beiden Seiten schnell klar: Das passt. Meyer wurde die rechte (young China) Hand von Mathias Kammüller, Gatte der Chefin Nicola Leibinger-Kammüller. Drei Jahre machte er das. Im Sommer 2019 ging es dann ganz nach China – nach Taicang, dem Sitz des Trumpf-HQ in China. Ideal: Seine Frau arbeitet als Strategiechefin bei StarRides – einem Joint-Venture von Daimler und Geely – in Hangzhou, eine knappe Schnellzugstunde vom gemeinsamen Wohnsitz in Shanghai entfernt.
Seit April 2020 ist Meyer nun Finanzchef bei YFI in Yangzhou. Trumpf hatte 2013 einen Anteil von 75 Prozent an dem chinesischen Werkzeugmaschinenbauer gekauft und dann diesen 2019 ganz übernommen. Meyer findet es als Vorteil, in einem rein chinesischen Unternehmen zu arbeiten. Er sagt: „Wer sich nur in der Expat-Bubble aufhält, bekommt vieles nicht mit.“
Er wünscht sich, dass auch andere junge Leute diesen Weg gehen. Er sagt: „Es ist für junge Leute unheimlich wichtig, Asien-Erfahrung zu sammeln.“ Asien sei eben nicht wie Europa oder die USA. Es sei ziemlich komplex und erfordere hohe Flexibilität. Er engagiert sich deshalb auch im Ostasiatischen Verein (OAV), wo er seit Sommer 2020 – neben Felicitas Patricia Kaupp – Co-Sprecher der OAV Young Leaders ist.
Übrigens in Deutschland war er dieses Jahr nicht. Und auch der geplante Weihnachtsurlaub ist inzwischen storniert.