POLITIK I Der neue 5-Jahres-Plan

    Vom 26. bis 29. Oktober werden sich in Beijing 370 Damen und Herren zu einer Klausur hinter verschlossenen Türen versammeln. Sie bilden das Zentralkomitee, eines der wichtigsten Entscheidungsorgane der KP Chinas, und sie werden vor allem über ein Thema diskutieren: Den neuen Fünf-jahres-Plan 2021-2025.

       Die Vorbereitung auf diese traditionell eminent wichtige Sitzung – im Parteijargon das 5. Plenum genannt (siehe CHINAHIRNLexikon) – läuft schon seit rund eineinhalb Jahren. Federführung hat dabei die allmächtige NDRC (National Development and Reform Commission) unter dem Vorsitzenden He Lifeng. Er und seine rund 800 Mitarbeiter holen Vorschläge der anderen Ministerien ein, sichten und bündeln sie für die entscheidende Sitzung Ende Oktober.

   Parallel dazu hat in den vergangenen Wochen. die Parteispitze unter Führung von Xi Jinping mehrere Symposien zu unterschiedlichen Themen veranstaltet. Zum Beispiel traf sich Xi Jinping mit neun Wirtschaftsexperten – meist aus dem akademischen. Raum – in Beijing. Dabei war auch Lin Yifu, früherer Weltbank-Vize, derzeit an der Peking Universität. Er sagt: „The next five years will see tremendous historical changes.”  In der ersten Hälfte der 20er Jahre wird nämlich China zu einem sogenannten middle-income-country aufsteigen. Lin Yifu rechnet dann mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen der Chinesen von 12 700 Dollar.

      Das hört sich zunächst positiv an, birgt aber auch eine große Gefahr. Wenn ein Land in diese Einkommensregionen wächst, droht die sogenannte middle-income-trap. Dieser Begriff – deutsch: die Falle der mittleren Einkommen – wurde von Volkswirten der Weltbank 2006 in die Diskussion geworfen. Sie besagt, dass Entwicklungs- oder Schwellenländer (in letztere Kategorie fällt China) zwar von einer niedrigen Basis aus schnell wachsen, aber dann auf einem mittleren Einkommensniveau verharren und nicht mehr wesentlich weiterwachsen. 

    Ob China in diese Falle tappen wird, wird sich in den nächsten Jahren entscheiden. Deshalb wird es sehr interessant sein, wie Chinas Führung die Wachstumschancen im neuen Fünf-Jahres-Plan sieht. Aber offenbar wird diskutiert, ob im neuen Plan überhaupt ein Wachstumsziel genannt wird oder nicht? Die Zeiten sind (wegen Corona, wegen des Handelsstreits) so unsicher, dass Planzahlen schnell Makulatur werden könnten. Shi Yinhong, Professor an der Renmin Universität in Beijing und Berater des Staatsrats, sagte laut South China Morning Post: „We could say that it`s the most uncertain period for China`s international environment since 1976.” Zur Erinnerung: In jenem Jahr starb Mao und hinterließ ein Machtvakuum.  

      Wegen der Unsicherheit hat Chinas Führung für dieses Pandemie-Jahr bereits das Wachstumsziel gekippt. Wenn im nächsten Fünf-Jahres-Plan ein Ziel ausgegeben werden sollte, rechnen fast alle Experten mit einem Richtwert von um die fünf Prozent, manche kalkulieren auch nur mit 4,5 Prozent (Zum Vergleich: Im derzeit laufenden Plan sind s6,5 Prozent Wachstum ausgegeben).

    Aber wie will China wachsen?  Da kommt die – im Mai ausgerufene – Dual-Circulation-Theorie ins Spiel, nach der zwei Kreisläufe der Wirtschaft bestehen. Einer im Inland, und einer mit dem Ausland. Vor allem der erste Kreislauf soll gestärkt werden. Die Chinesen sollen durch ihren Konsum die Wirtschaft ankurbeln. Es gilt die Parole: Mehr Konsum statt Exporte. Man will sich dadurch vom zunehmend feindlich gestimmten Ausland unabhängiger machen. Doch längst sind nicht alle Chinesen konsumfähig, vor allem die Alten und die auf dem Land nicht. Experten prophezeien deshalb, dass die Sozialausgaben steigen werden, um dies beiden Bevölkerungsgruppen etwas besser zu stellen.

    Die Dual-Circulation-Theorie wird sicher einer der Eckpfeiler des neuen Planes sein. Ebenso werden die Investitionen in Forschung und Entwicklung (F+E) steigen. Experten wie Wang Tao von der Investmentbank UBS rechnen, dass der Anteil der F+E-Ausgaben am Sozialprodukt von 2,5 (2020) auf 3 Prozent (2025) zunehmen wird. Das hört sich in absoluten Zahlen viel eindrucksvoller an: Statt 350-400 Milliarden werden 600-650 Milliarden Dollar für Forschung ausgegeben. Auch hier ist der Treiber der Konflikt mit dem Ausland, insbesondere den USA. Man will die Abhängigkeit bei Spitzentechnologien reduzieren und eigene Kapazitäten (vor allem bei Chips) auf- und ausbauen.

   Freilich: Es sind alles Rechnungen mit einer großen Unbekannten. Denn just eine Woche nach der ZK-Sitzung wählen die Amerikaner ihren neuen Präsidenten.  Es könnte sein, dass die Planzahlen dann nachjustiert werden müssen.

No Comments Yet

Comments are closed