CHINAHIRNfragt…den USA-Experten Josef Braml*

CHINAHIRN Herr Braml, welche Rolle spielt China im derzeitigen US-Wahlkampf?

BRAML Mittlerweile ist China ein innenpolitisches Wahlkampfthema geworden, weil Trump in der Corona-Pandemie versagt hat. Sein bisheriges Mantra guter Wirtschaftsdaten greift nicht mehr. Er sucht deshalb nun ein äußeres Feindbild. Er gibt China die Schuld, nachdem er am Anfang China noch gelobt hat. Er nutzt China als Sündenbock – und übrigens auch die WHO- , um von seinem Versagen abzulenken.

                                                                                                                             

CHINAHIRN Sieht Herausforderer Joe Biden China etwas differenzierter?

BRAML Ich sehe nicht allzu viele Unterschiede zwischen Biden und Trump, was die Einschätzung Chinas anbetrifft. In beiden politischen Lagern wird Stimmung gegen China gemacht. Ja, wir sehen zwischen Demokraten und Republikanern geradezu einen Wettbewerb im China-Bashing. Im Wahlvolk scheint das anzukommen:  Die Stimmung gegenüber China – das zeigen aktuelle Umfragen – ist massiv eingebrochen und extrem ins Negative gekippt.

CHINAHIRN Warum herrscht diese negative China-Bild in den USA?

BRAML Ein ganz wichtiger Grund: China droht in wichtigen Technologiebereichen überlegen zu werden.  Ich nenne als Beispiele nur schnelles Internet, also 5G, Gentechnologie und Künstliche Intelligenz. Wer bei diesen zukunftsweisenden Technologien ins Hintertreffen gerät, wird dort auch bleiben. Diese Gefahr hat Trump erkannt und versucht mit diversen Sanktionen China am Aufstieg zu hindern. Wir leben in geoökonomischen Zeiten, wo die Wirtschaft als Waffe eingesetzt wird.

CHINAHIRN Geostrategie spielt keine Rolle mehr?

BRAML Doch, natürlich. Die Chinesen sind in den vergangenen Jahren außenpolitisch sehr selbstbewusst geworden, zu selbstbewusst. Schauen sie sich an, was sie im Südchinesischen Meer machen. Oder was derzeit an der chinesisch-indischen Grenze passiert.

CHINAHIRN Könnte das im Südchinesischen Meer zu einem militärischen Konflikt der beiden Weltmächte führen?

BRAML Sicherheitsstrategen in den USA halten dieses Szenario mittlerweile für möglich. Die USA und China manövrieren sich immer mehr in ein Sicherheitsdilemma: das individuelle Streben der beiden Protagonisten nach mehr Sicherheit erzeugt am Ende mehr Unsicherheit auf beiden Seiten. Die schon seit Längerem gehegte Befürchtung amerikanischer Sicherheitsstrategen, China wolle in Ostasien eine exklusive Einflusssphäre etablieren, wird durch Chinas zunehmenden Expansionsdrang genährt.

CHINAHIRN Herr Braml, wenn Biden und Trump einen ähnlichen China-kritischen Kurs fahren, ist es – allerdings nur, was diese Frage anbetrifft – doch egal, wer nach dem 3. November an die Macht kommt?

BRAML Es gibt schon einen wichtigen Unterschied – und der betrifft das Verhältnis der USA zu Europa, Trump meint, er brauche keine Alliierten. Aus seiner Sicht ist Europa ein Feind wie China. Biden hingegen betrachtet Europa als Verbündeten – auch gegenüber China.  

CHINAHIRN Wie kann, wie soll sich überhaupt Europa in diesem Großmachtkonflikt behaupten?

BRAML Wir werden gleichzeitig von den USA und China unter Druck gesetzt. Wir sollten wissen, wo wir sicherheitspolitisch hingehören – an die Seite der USA. Gleichwohl sollten wir in sicherheitspolitisch weniger sensiblen Bereichen unsere eigenen wirtschaftlichen Interessen mit China wahren. Die Europäische Union muss endlich das Einstimmigkeitsprinzip überwinden und zu qualifizierten Mehrheitsentscheidungen finden, um entscheidungs- und handlungsfähig zu werden in einer härter werdenden geo-ökonomischen Welt.

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*Josef Braml ist USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und Autor des soeben neu aufgelegten Buches „Trumps Amerika – Auf Kosten der Freiheit“. Aktuelle Analysen veröffentlicht er auch über seinen Blog www.usaexperte.com

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