Es ist eine gigantische Zahl: Rund 250 000 Personen, die eigentlich einen Job und Wohnung in China haben, sitzen im Ausland fest und können aufgrund der strikten Corona-Regelungen seit Monaten nicht mehr nach China zurück. Einer von ihnen ist der deutsche Manager Jochen Scheil. Er ist seit 2010 China-Chef des schwäbischen Mittelständlers Uhlmann, einem Unternehmen, das Verpackungsmaschinen für die Pharmaindustrie herstellt.
Ich erreiche Jochen Scheil gerade auf der Autobahn irgendwo kurz vor Sinsheim. Er ist auf dem Weg von seiner Ferienwohnung an der Mosel nach Laupheim ins Headquarter der Firma Uhlmann. Es ist eine ungewöhnliche Dienstreise für ihn. Wenn auf dieser Welt alles normal gelaufen wäre in den vergangenen Monaten, würde er nicht über eine Autobahn im deutschen Südwesten brettern, sondern zwischen Wohnung und Büro in Shanghai pendeln. Doch die Zeiten sind nicht normal – weder hier, noch in China.
Deshalb sitzt Scheil mit Frau und vierjähriger Tochter in Deutschland fest. Ende Januar ist er mit ihnen kurz vor Chinesisch Neujahr nach Deutschland gereist. Viele deutsche Manager flüchten vor diesem Trubel rund um dieses Fest. Auch Scheil ging auf Heimaturlaub in die Eifel. Ein Grund: Er wollte seine 90jährige Großmutter besuchen, die seine Tochter noch nie gesehen hat. Zwei Wochen wollten sie bleiben, Mitte Februar wieder zurückfliegen. So war der Plan.
Und jetzt ist er immer noch da. Ein Opfer von Corona.
Zuerst wohnte er in Ulm in der Nähe von Laupheim, dem Firmensitz von Uhlmann. Ende März zog die Familie Richtung Scheils Heimat nach Landkern in eine Ferienwohnung. Von dort machte er nun seit Monaten Home Office, kommuniziert sowohl mit dem Headquarter in Laupheim als auch mit seinem Team in Shanghai. Der Vorteil war, dass er aus seiner Tätigkeit in China digitale Kommunikation bereits kannte. „Dort hatten wir im Unternehmen schon lange mehrere WeChat-Gruppen und haben bereits seit Jahren diese Art der schnellen und effizienten Kommunikation praktiziert“, sagt Scheil.
Diese Erfahrung aus China konnte er nun auch im Headquarter einbringen. Er schrieb unter anderem einen Artikel in der Hauszeitschrift „Pactuell“ über digitales Arbeiten und beriet den einberufenen Corona-Krisenstab in allen Fragen rund um die Ereignisse in China. „Die Angst vor dem Home Office zu nehmen, war eine interessante Aufgabe hier in der Hauptverwaltung“. Inzwischen funktioniert es, jetzt sei es auch hier ganz normal, sagt Scheil.
Mit seinen chinesischen Mitarbeitern in Shanghai hat er diesbezüglich eh kein Problem. Die sind digitales Arbeiten gewohnt. Seine 40-Mann-Truppe konnte er leicht via digitale Softwarelösungen mittels Teams oder Zoom aus seiner Ferienwohnung in der Nähe der Mosel führen. „Ich hatte großes Glück, dass ich meinen Laptop mitgenommen habe. So kann ich uneingeschränkt arbeiten und sogar digital sämtliche Rechnungen freigeben“, sagt Schleich.
Das China-Geschäft hat keine große Delle erlitten. Die Maschinen konnten ja auch während Corona-Zeiten nach China geliefert werden. Die Abnahmen im Werk in Laupheim durch die chinesischen Kunden erfolgte virtuell via moderner Kommunikationstechnik und durch tägliche Besprechungen der Teams in China und Deutschland.
Und auch die vierjährige Tochter, die in einen internationalen Kindergarten geht, war online mit ihrer Vorschule verbunden. Jeden Morgen um 9 Uhr war sie online mit der Schule verbunden.
Wann wird sie, wann wird er wieder aus der virtuellen in die reale Welt zurückkehren? Wann geht es zurück? Er steht in Kontakt mit dem chinesischen Generalkonsulat in Frankfurt und dem deutschen Generalkonsulat in Shanghai. Unter gewissen Bedingungen ist ja inzwischen die Einreise nach Shanghai wieder erlaubt. Aber er sagt: „Ich habe keine Eile.“ Er will erst mal noch im September mit der Familie Urlaub machen und den Herbst in Deutschland genießen. Nach den chinesischen Feiertagen Anfang Oktober plant er die Rückreise nach Shanghai.
In ihrer Wohnung in Pudong war seit Monaten niemand mehr. Den Kühlschrank haben sie gottseidank vor der Abreise leergeräumt. Eine dicke Staubschicht, stinkende Abflüsse werden ihn wohl erwarten. „Ich rechne mit allem“, wenn er nach neun Monaten von einer Reise zurückkommt, die eigentlich nur zwei Wochen dauern sollte.