POLITIK I Zieht sich China zurück?

Während hierzulande noch chinesische Welteroberungstheorien und Ausverkaufsszenarien verbreitet werden, wird in China was ganz anderes diskutiert. Nämlich das Gegenteil. Eine Rückbesinnung auf den heimischen Markt. Die Strategie hat auch schon einen Namen Dual Circulation Theory. Zwei Kreisläufe der Wirtschaft.  Einen im Inland, und einen mit dem Ausland. Und vor allem der erste Kreislauf soll gestärkt werden. Die Chinesen sollen durch ihren Konsum die Wirtschaft ankurbeln. Es gilt die Parole: Mehr Konsum statt Exporte.

        Das ist die Botschaft, die Staatschef Xi jJnping immer wieder verkündet. Es ist eine Entwicklung, die sich schon seit längerem abzeichnet, aber in den vergangenen Monaten deutlich an Fahrt gewonnen hat. Schon seit rund zwei Jahren redet Xi Jinping immer öfters von self-reliance, also Selbstständigkeit oder (wirtschaftliche) Unabhängigkeit.

   Es ist kein freiwilliger Kursschwenk, sondern ein erzwungener. Ursache ist das zunehmend feindlich gesinnte Umfeld. Allen voran die USA, die immer mehr chinesische Unternehmen und Waren von ihrem Markt ausschließen. Und es sind nicht nur die USA, die so handeln. Die Trump-Administration macht immer mehr Druck auf die – wie sie es nennt – „freie Welt“, es ihr gleich zu tun und China zu ächten. Und dass nicht ohne Erfolg. An vorderster Front dieser Anti-China Koalition stehen die Five-Eyes-Staaten  (neben den USA sind das Kanada, Großbritannien, Australien und Neuseeland, die geheimdienstlich zusammenarbeiten). Doch auch die asiatischen Großmächte Japan und Indien wollen sich von Chinas Wirtschaft teilweise entkoppeln. Japan ködert mit viel Geld seine Unternehmen, damit sie China verlassen und wieder zuhause produzieren. Indien verbannte rund 50 chinesische Online-Unternehmen vom indischen Markt. 

     In diesem feindlichen Klima besinnt sich China zunehmend auf sich selbst. In den höchsten Parteigremien wurde der Schwenk diskutiert und abgesegnet. Xi Jinping hat die neue Richtung bei einem Treffen mit chinesischen Managern am 21. Juli erläutert: „We must gradually form a new development pattern with the domestic cycle as the main body.” Und dabei verwies er auf den “gigantischen Heimatmarkt”, den es zu bearbeiten und zu beliefern gelte.

     Dieser riesige Markt ist das große Plus Chinas. Kein Land dieser Welt hat einen so großen Heimatmarkt: 1,4 Milliarden Menschen. Natürlich sind nicht alle konsumfähig. Aber es gibt schon eine Mittelschicht, über deren Höhe sich die Gelehrten seit Jahren streiten. Aber 400 bis 600 Millionen könnten es sein. Doch daneben gibt es – das sagte kürzlich Ministerpräsident Li Keqiang – noch rund 600 Millionen Chinesen, die gerade mal ein monatliches Einkommen von 1000 Yuan (also rund 120 Euro). Es gibt also noch viel Nachholbedarf in dem riesigen Land. Die Konsumquote – also der Anteil des privaten Verbrauchs am Sozialprodukt – schwankte in den vergangenen Jahren zwischen 16 und 19 Prozent. Das ist im Vergleich zu den westlichen Industriestaaten eher niedrig. 

     Um den Konsum anzukurbeln hat die Regierung mehrere Programme aufgelegt, die die heimische Wirtschaft und damit auch den inländischen Konsum fördern solle. Zum Beispiel das mit 1,6 Billionen Dollar dotierte Programm New Infrastructure, mit dem der Ausbau neuer Technologien unterstützt werden soll. Oder die Neuauflage des Go-West-Programms, mit dem der nach wie vor zurückgebliebene westlicher Landesteil aufgepäppelt werden soll.

     Aber das vielleicht wichtigste und effektivste Instrument der Konsumförderung geht die Partei nicht an – den Abbau des krassen sozialen Ungleichgewichts. Auf dem Papier klingt das sehr einfach: Denen da Oben etwas wegnehmen, und es denen da Unten geben, damit diese mehr ausgeben können. Dass dies nicht passiert, moniert der amerikanische Wirtschaftsprofessor Michael Pettis, der seit Jahrzehnten an der Tsinghua Universität in Beijing lehrt:  „Die Regierung zögert bislang, die hierzu nötigen Maßnahmen zu ergreifen.“ Dabei sollte gerade dies für eine kommunistische Regierung oberste Priorität haben, wenn ich Marx und seine gleichmacherischen Jünger richtig verstanden habe.

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