CHINAHIRN liest…

….“Begegnung  mit China“ von Gerd Ruge. Ich fand das Buch kürzlich, als ich im Antiquariat Hollmann am Berliner Gendarmenmarkt herumstöberte. Gerd Ruge? Den Jüngeren wird dieser Name nichts sagen. Die Älteren werden sich vielleicht fragen: War das nicht dieser nuschelnde Fernsehreporter, der einst aus Moskau, den Weiten der Taiga und von den Ufern der Wolga berichtete?  Ja, dieser Gerd Ruge ist es. Und dieser Gerd Ruge war nicht nur in Moskau, sondern auch Korrespondent in Beijing – und zwar in den 70er Jahren. Er war einer der ersten deutschen Journalisten vor Ort. Nur die Nachrichtenagentur dpa war schon dort vertreten – mit Hans-Joachim Bargmann. Bargmann holte Gerd Ruge auch damals nach einer 28-stündigen(!)-Flugreise am Flughafen in Beijing ab, nachdem er mit Frau Lois und Hündin Bubbles dort gelandet war.

    Bis 1978 bleiben die Ruges in China. Sie erlebten spannende Zeiten. Es war die Endphase der Mao-Ära. Mao siechte dahin, zeigte sich nur noch selten in der Öffentlichkeit. Dann erst der Tod seines Stellvertreters, des überaus populären Zhou Enlai. Dann schließlich der Tod Maos. Der Kampf der Viererbande unter Führung von Maos Witwe Jiang Qiang.  Schließlich die Rückkehr des Reformers Deng Xiaoping.

     Die 70er Jahre waren mir nicht mehr sehr präsent. Umso mehr staunte ich bei der Lektüre des Buches, was damals alles möglich war. Es war die Hochzeit der Wandzeitungen, es gab öffentliche wie parteiinterne Diskussionen über den richtigen Weg. Es waren intellektuell anspruchsvolle Zeiten. Kein Vergleich zu heute, wo der politische Diskurs – wenn es denn überhaupt einen gibt – hinter verschlossenen Türen stattfindet.

   Gerd Ruge, den alle nur als Fernseh-Reporter kennen, war damals übrigens für die Tageszeitung Die Welt in Beijing.  Und das kam so: 1971 drehte Ruge auf seiner allerersten Reise eine TV-Dokumentation, die den Mächtigen in China offenbar gefiel. Deshalb rief 1972 Wang Shu, als Xinhua-Korrespondent in Bonn mangels diplomatischer Beziehungen quasi der inoffizielle Repräsentant Chinas in Deutschland, Gerd Ruge an und sagte, Die Welt dürfe ein Büro in Beijing eröffnen und man würde ihn als Korrespondenten gerne akzeptieren.

    Wie sich die Zeiten ändern: Heute sitzt Maximilian Kalkhof in Berlin und wartet schon seit längerem auf einen ähnlichen Anruf. Bislang vergebens. Der designierte China-Korrespondent der Tageszeitung Die Welt und anderer Springer-Medien will schon seit Monaten auf Posten nach Beijing. Doch der chinesischen Botschaft gefällt offenbar die China-Berichterstattung des Springer-Konzerns nicht – und lässt Kalkhofs Akkreditierung erst mal liegen.

Info:

Auch Gerd Ruges Frau, Lois Fisher-Ruge, hat über ihre Zeit in China ein Buch geschrieben: „Alltag in Peking – Eine Frau aus dem Westen erlebt das heutige China.“ Das schmale Fischer-Taschenbuch ist eine ideale Ergänzung zum Buch ihres Ehemannes.  Beide Bücher sind noch bei fast allen gängigen antiquarischen Online-Versenden zu bekommen. Zum Beispiel bei Booklooker.de für jeweils schlappe 50 Cents.

No Comments Yet

Comments are closed