Gerade war Janka Oertel am frühen Nachmittag des 29. Juni noch in einer virtuellen Diskussionsrunde mit EU-Kommissarin Margrethe Vestager und Schwedens Ex-Ministerpräsident Carl Bildt, um im Rahmen des ECFR Annual Council Meeting über A Europe Ready to Compete? zu diskutieren (ECFR steht für European Council on Foreign Relations). Unmittelbar nach deren Ende musste sie vom ECFR-Büro Unter den Linden in einen Saal des Deutschen Bundestages eilen. Dort wartete Norbert Röttgen, um ein Hearing des Auswärtigen Ausschusses, dem er vorsteht, zu leiten. Thema: China. Janka Oertel war dort als eine der Expertinnen geladen. Als Röttgen seine Gäste begrüßte und vorstellte, übersah er zunächst die herbeigeeilte Oertel, um sich dann sofort zu entschuldigen: „Liebe Frau Oertel, dass ich ausgerechnet Sie übersehen habe. Das tut mir leid.“
Janka Oertel ist eine gefragte Person. Und nicht nur sie. Die China-Experten der Thinktanks sind im politischen Berlin derzeit gesuchte Erklärer und Souffleure bei politischen Veranstaltungen, aber auch in den Medien. Beherrschen sie damit auch den öffentlichen und politischen China-Diskurs hierzulande? Die Deutsche Gesellschaft für Asienkunde (DGA), hinter der sich überwiegend die universitären Asien- und China-Deuter scharen, ist dieser Meinung. In ihrem kürzlich veröffentlichten „Plädoyer gegen Polarisierung“ kritisierte der DGA-Vorstand, dass der Diskurs über China von Vertretern der Denkfabriken dominiert würde.
Ist das nun Neid, weil man selbst in der Debatte nicht zu Wort kommt? Oder ist an dem Vorwurf etwas dran?
Es ist schon auffallend, dass ein paar wenige China-Experten aus den Berliner Denkfabriken immer wieder gehört und zitiert werden und damit das überwiegend kritische China-Bild mitprägen.
Deshalb ist es wichtig, diese Meinungsbildner in den Thinktanks zu kennen. Deshalb hier eine Übersicht über die vielen Frauen und wenige Männer, die durch ihr Reden und Schreiben das deutsche China-Bild (mit-)bestimmen.
An erster Stelle muss man das Merics nennen. In Langfassung: Mercator Institute for China Studies. Es wurde 2013 von der Stiftung Mercator gegründet. Hinter der Stiftung steckt die Familie Schmidt-Ruthenbeck, die einst mit Otto Beisheim den Handelskonzern Metro gegründet hat. Merics wurde von der Stiftung mit einem Budget von 20 Millionen Euro für die ersten fünf Jahre ausgestattet. Erster Direktor war der Trierer Professor Sebastian Heilmann, der dem Merics ein Gesicht gab. Nach Heilmanns Rückkehr auf seinen Trierer Lehrstuhl folgte ein kurzes Intermezzo mit einer Doppelspitze: der niederländische Professor Frank N. Pieke und das Eigengewächs Mikko Huotari. Ende Januar 2020 ging Pieke – so die Merics-.Pressemitteilung „aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen über die strategische Weiterentwicklung“. Es darf spekuliert werden: War er nicht China-kritisch genug?
Seit Februar 2020 ist nun Mikko Huotari Direktor. Der Sinologe studierte und promovierte an der Uni Freiburg. Die beiden anderen prägenden Gesichter von Merics, das im Laufe der Jahre viele Forscher verlassen haben, sind Kristin Shi-Kupfer und Max Zenglein. Shi-Kupfer – einst auch an der Uni Freiburg – bearbeitet gesellschaftliche Themen, Zenglein die wirtschaftlichen.
Neben dem Merics, das rund 30 Mitarbeiter hat und aufgrund des reduzierten finanziellen Engagements der Stiftung Mercator stärker auf Drittmittel angewiesen ist, gibt es noch folgende China-Experten in anderen Thinktanks.
- Angela Stanzel und Nadine Godehardt beschäftigen sich in der Forschungsgruppe Asien der Stiftung Wissenschaft und Politik (swp) mit China. Stanzel ist Tochter von Volker Stanzel, der Botschafter in Tokio und Beijing war und heute in Berlin lebt, wo er bei diversen Thinktanks die graue Eminenz im Hintergrund ist.
- Mareike Ohlberg und Noah Barkin forschen seit kurzem beim German Marshall Fund (GMF). Ohlberg war zuvor beim Merics, Barkin war über 20 Jahre Journalist bei der Nachrichtenagentur Reuters, danach Visiting Fellow bei Merics.
- Didi Kirsten Tatlow (einst ebenfalls Visiting Fellow bei Merics) ist Senior Fellow im Asien- Programm der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und dort für China zuständig. Sie war 23 Jahre lang Journalistin, unter anderem lange Jahre Korrespondentin der New York Times in Beijing.
- Janka Oertel, Direktorin des Asienprogramms des ECFR. Die Politologin und Sinologin war vorher bei der Körber-Stiftung und dem GMF.
Diese Damen und Herren China-Experten der Thinktanks prägen sicher das deutsche China-Bild. Und wo sind die ProfessorInnen der sinologischen Fakultäten an den deutschen Universitäten? Werden sie nicht gehört, oder melden sie sich nicht zu Wort? Antworten in der nächsten Ausgabe von CHINAHIRN.