Gegen Ende der großen Corona-Quarantäne stellte der Kurznachrichtendienst Weibo den Chinesen die Frage, was sie denn nun am liebsten machen würde. Eine der häufigsten Antworten war: Sich scheiden lassen. Unter den so Antwortenden sind sicher auch einige Witzbolde, aber vielen ist es mit der Trennungsankündigung ernst. In China sind die Anträge zur Scheidung sprunghaft gestiegen. In Städten wie Xi`an oder Shenzhen (wo die Zahl der Scheidungen sich in den ersten vier Monaten vervierfachte) aber auch Guangzhou oder Shanghai melden die Ämter: Ausgebucht, melden sie ihre Scheidung erst in ein paar Wochen an. Die Quarantäne, in der plötzlich Ehepaare Wochen zusammen in den eigenen vier Wänden verbringen mussten, hat viele Partner zweifeln lassen, ob sie denn dem Richtigen oder der Richtigen das Ja-Wort gegeben haben. Viele haben sich deshalb nach Corona für ein Nein entschieden. Damit wird durch Corona ein Trend fortgesetzt, der schon seit über 15 Jahren anhält: die Scheidungsraten in der Volksrepublik steigen stetig. 2019 heirateten 9,47 Millionen Paare, aber 4,15 Millionen Paare ließen sich scheiden. Immer mehr Scheidungen, immer weniger Hochzeiten, und immer weniger Geburten. Das sind Trends, die der Regierung nicht gefallen. Denn das Land braucht dringend mehr Geburten, um der Vergreisung der Gesellschaft entgegenzuwirken. Deshalb hat die Führung in Beijing ja gehofft, dass die wochenlange Quarantäne zu mehr Geburten führe, weil die Paare aus Langeweile oder sonstigen niederen Motiven die hierfür nötigen Tätigkeiten verrichten würden. Im Internet kursierte das Bild eines offiziellen Banners – wahrscheinlich aus der Stadt Luoyang in Henan – mit der Parole: „Tue etwas für Dein Land, indem Du zuhause bleibst und ein zweites Kind zeugst.“ Doch der Schuss ging nach hinten los: Viele Paare vereinigten sich nicht, sondern – im Gegenteil – sie trennten sich. Häufig geht dieser Trennungswunsch von den Frauen aus, die den Mann im Home Office plötzlich als Hausarbeit verweigernden Macho entdecken. Frauen – auch das ein seit Jahren anhaltender Trend – sind die Treiber der Trennung. Anfang November vergangenen Jahres hat Zhou Qing, der Präsident des Obersten Volksgerichthofs, bei einer Rede vor der Tsinghua Universität, erstmals eine Zahl genannt: 74 Prozent der Scheidungen gehen danach von Frauen aus. Das Recht auf Scheidung haben Frauen erst seit 1950. In der Mao-Zeit wurde davon aber wenig Gebrauch gemacht. Erst in der Reform-Ära wurden die Frauen mutiger, besonders nach der Vereinfachung des Scheidungsgesetzes 2003 (danach musste unter anderem der Arbeitgeber nicht mehr zustimmen). Die Regierung versucht diesem Scheidungstrend entgegenzuwirken. So hat der Nationale Volkskongress gerade ein neues Zivilrecht (das ab dem 1. Januar 2021 gilt) verabschiedet. Danach soll es eine 30tägige Cooling-Off-Periode gegeben, in der die Paare nach Einreichung ihrer Scheidung die Entscheidung nochmals überdenken sollen. Auf viel Zustimmung stieß dieses neue Gesetz freilich nicht. Viele befürchten, dass es gerade in dieser Phase zu zunehmender häuslicher Gewalt kommen könnte. In einer Online-Umfrage des Nachrichtenportal Toutiao waren über 80 Prozent der Meinung, dass die Scheidungsrate durch die Abkühlungsperiode nicht sinken wird.
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