Die drei Gesichter Chinas

Eine maritime Perspektive der chinesischen Außenpolitik

Rede für die Kieler Woche 2025

24.6.2025

Von Katja Levy

Verehrte Kollegin, liebe Angelika und sehr geehrter Herr Vizepräsident Schneider, herzlichen Dank für die freundliche Einführung und das Vertrauen. Mein Dank geht auch an das Präsidium, den Geschäftsbereich Internationales und die Philosophische Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel für die Gelegenheit, mit dieser Rede heute hier meinen Beitrag zum Gelingen der Kieler Woche leisten zu dürfen. Ich empfinde dies als eine große Ehre und vom Genre her auch als eine sehr anregende Herausforderung!

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Segelfreunde und Interessierte der internationalen Politik,

wenn wir hier in Kiel zur alljährlichen Kieler Woche zusammenkommen, blicken wir nicht nur auf die Förde hinaus, sondern auch auf die weiten Ozeane unserer Welt. Wie die Segelboote, die bei unserer traditionellen Regatta verschiedene Kurse fahren können – mal mit dem Wind, mal gegen ihn, mal in ruhigen Gewässern, mal in stürmischer See – so navigiert auch China auf unterschiedliche Weisen durch die komplexen Gewässer der internationalen Politik.

Heute möchte ich mit Ihnen eine Reise unternehmen, eine Fahrt über die sieben Weltmeere, um zu verstehen, wie sich China als maritime und globale Macht präsentiert.

In den letzten Jahren hat sich in politischen und journalistischen Kreisen in Deutschland und in Europa eine dreiteilige Beschreibung Chinas durchgesetzt: China wird als PARTNER verstanden, mit dem man in bestimmten Bereichen zusammenarbeiten kann, z.B. im Klimaschutz. Das Land wird aber auch als Wettbewerber verstanden, z.B. in bestimmten Technologieentwicklungsbereichen und vor allem in der Wirtschaft. Aber die dritte Charakterisierung nimmt oft den breitesten Raum in der Diskussion ein, die als sogenannter systemischer Rivale. Diese letzte Eigenschaft bezieht sich auf die Wahrnehmung, dass China mit seiner autoritären Mixtur aus Vorherrschaft der Kommunistischen Partei und neoliberaler Marktwirtschaft unsere westlichen, demokratischen Systeme in ihren Grundfesten bedroht, sei es durch Spionage, Einflussnahme oder andere Formen der geopolitischen Machtausübung.

Ich möchte auf dieser Reise durch die Weltmeere eine andere dreigeteilte Beschreibung Chinas vorschlagen. Ich nenne sie die drei Gesichter Chinas: China als Aggressor, als Vermittler und als Innovator. Das Bild des Aggressors ist offensichtlich eng mit der Charakterisierung als Systemrivale verwandt. Mit den beiden Bezeichnungen Vermittler und Innovator möchte ich eine Akzentverschiebung vornehmen. Und zwar weg von einer auf uns selbst konzentrierten Wahrnehmung hin zu einer umfassenderen, aber nicht naiveren Betrachtungsweise Chinas in der internationalen Politik.

Aber nun zurück zu unserer Reise:

1.      Das erste Gesicht der chinesischen Außenpolitik ist das des Agressors

Beginnen wir unsere Reise im Südchinesischen Meer, einem der umstrittensten Gewässer unserer Zeit. Hier zeigt China sein erstes Gesicht – das des Aggressors. Wie ein mächtiger Supertanker, der kleine Segelboote von seinem Kurs abdrängt, beansprucht China nahezu das gesamte Südchinesische Meer für sich.

Mit der berüchtigten „Neun-Striche-Linie“ steckt Chinas seine territorialen Ansprüche fest. Stellen Sie sich vor, ein Teilnehmer der Kieler Woche würde plötzlich behaupten, die gesamte Ostsee gehöre ihm – so empfinden die Anrainerstaaten des Südchinesischen Meeres Chinas Vorgehen.

In diesen Gewässern wird mächtig gestritten. China, Vietnam und die Philippinen bauen künstliche Inseln auf Felsen im Meer auf, wie Sandburgen. Anders als die Felsen, auf denen sie errichtet werden, verschwinden sie nicht mehr bei Flut, sondern werden zu militärischen Stützpunkten. Auf den Spratly-Inseln entstehen Landebahnen und Radaranlagen – eine militärische Infrastruktur, die das Gleichgewicht in der Region ins Wanken bringt. Vietnam, die Philippinen, Malaysia und andere Anrainerstaaten fühlen sich wie kleine Jollen, die von einem übermächtigen Kriegsschiff bedrängt werden. Auf unterschiedliche Weise versuchen sie dem mächtigen Nachbarn Widerstand zu leisten. Vietnam ist dabei aggressiver – es hat zum Beispiel 29 der Spratley Islands besetzt, während die VR China 7 und Taiwan eine Insel bzw. Erhebung unter Kontrolle haben. Die Philippinnen haben einen anderen Weg gewählt. Sie haben ein Schiedsgerichtsverfahren angestoßen, das ihnen im Streit um einige der Spratley Inseln im Jahr 2016 Recht gegeben hat. Das Schiedsgericht hat entschieden: das Gebiet der 9-Striche-Linie könne China nach dem UN-Seerechtsübereinkommen nicht für sich beanspruchen.

Das Problem an solchen Schiedsgerichtsentscheidungen nach dem UN-Seerechtsübereinkommen ist, dass alle Parteien mitmachen und seine Entscheidungen anerkennen müssen. Aber China hat von Anfang an mit dem Slogan „no acceptance, no participation, no recognition, and no implementation“ (also: keine Akzeptanz, keine Teilnahme, keine Anerkennung und keine Durchsetzung“ des Schiedsgerichtsverfahrens) reagiert. Aber anders als im nationalen Recht der einzelnen Länder, müssen sich die Länder auf hoher See immer untereinander einig werden, denn es gibt kein „oberstes Weltgericht“, das solche Streitfälle für alle gültig entscheiden könnte.

Auch im Ostchinesischen Meer zeigt China dieses aggressive Gesicht. Die Senkaku-Inseln, die auf Chinesisch Diaoyu-Inseln heißen und ca. 70 km östlich von Taiwan liegen, werden von Japan verwaltet. China beansprucht sie aber auch aus historischen Gründen. Sie sind ein ständiger Konfliktpunkt. Die Inseln sind nicht nur wegen Rohstoffen für China, Japan, Taiwan und die USA interessant, sondern auch wegen ihrer geografischen Lage. Sie liegen gefährlich nahe bei der US-Militärbasis auf der japanischen Insel Okinawa, bei der umstrittenen Insel Taiwan und bei der Küste der VR China. Schiffe der chinesischen Küstenwache und kürzlich sogar die beiden chinesischen Flugzeugträger kreuzen regelmäßig bedrohlich in diesen Gewässern. Nicht selten geraten sie mit Fischerbooten der anderen Staaten in gefährliche Gerangel.

Ein weiterer, wahrscheinlich sogar der wichtigste Streitpunkt in diesen Gewässern ist Taiwan. Aufgrund ihrer Lage wird die Insel manchmal als „unsinkbarer Flugzeugträger“ bezeichnet. Aus Sicht Chinas ist Taiwan eine seiner 23 Provinzen[1], die in der Zeit vom ersten Chinesisch-Japanischen Krieg 1895 bis zum Ende des zweiten Weltkriegs von Japan besetzt war, aber dann 1945 an China zurückgegeben wurde. Aus Sicht der westlichen Welt, sieht die Sache etwas anders aus, denn wem immer Taiwan auch gehören mag, es handelt sich dabei anders als bei der VR China um eine noch ganz junge, aber schon starke Demokratie. Niemand mag sich vorstellen, was mit dieser kleinen Republik passiert, sollte sie von der VR China mit Gewalt eingenommen werden. Die Taiwanstraße, einst eine natürliche Barriere, wird immer öfter von chinesischen Kriegsschiffen und Kampfjets überquert. Die Möglichkeit einer Blockade oder Invasion bedroht die Inselrepublik wie ein Sturm, der sich am Horizont zusammenbraut.

Aber Chinas aggressives Verhalten beschränkt sich nicht nur auf Ost- und Südostasien. Entlang der neuen Seidenstraße, auf deren maritimen Teil ich später noch genauer eingehen werde, befinden sich eine Reihe von Ländern, die hochverschuldet sind. Auch in diesem Zusammenhang sind die Einzelfälle sehr unterschiedlich und nicht immer ist die Situation so einfach wie sie die Medien darstellen müssen. Festhalten kann man allerdings, dass China oft in die Lücken springt, die andere Kreditgeber hinterlassen haben. Und der Einfluss des Reichs der Mitte in den vielen Entwicklungsländern und aufstrebenden Wirtschaften zwischen Südasien und Afrika hat in den letzten Jahrzehnten stetig zugenommen. Ein Trend, der sich weiter fortzusetzen scheint.

Neben den Schulden und dem allgemeinen wirtschaftlichen, technologischen und politischen Einfluss entlang der Seidenstraße lässt sich eine weitere aggressive Strategie Chinas identifizieren: China sichert sich auf verschiedene Weise Häfen auf der ganzen Welt. Zwar werden alle Häfen bis auf eine Ausnahme zivil genutzt und sind meist auch nur für eine begrenzte Zeit gepachtet. Aber Militärexperten sagen, dass viele dieser Häfen auch in militärische Stützpunkte umgewandelt werden könnten. Dazu kommt die eine Ausnahme: China hat einen militärischer Stützpunkt, in Dschibouti am Horn von Afrika. Hierzu muss man allerdings wissen, dass alle großen Handelsnationen dort eine Militärbasis haben, denn diese Gegend, am Eingang zum Roten Meer und dem einzigen südlichen Zugang zum Suezkanal ist geplagt von Piraterie und in letzter Zeit durch Angriffe der Huthis.[2]

Auch Chinas Vordringen in die Arktis, wo das schmelzende Eis neue Seewege eröffnet, wird von den Arktisstaaten in letzter Zeit zunehmend als aggressives Vorgehen interpretiert. Seit 2018 bezeichnet sich China als „arktisnaher Staat“. Man kann das so verstehen, dass das Land durch dieses Selbstverständnis potenzielle Ansprüche in dieser Gegend geltend machen will. Chinas Eisbrecher „Xue Long“ und „Xue Long 2“ (Schneedrache und Schneedrache 2) durchpflügen bereits die Nordostpassage von China entlang an der russischen Nordküste bis nach Norwegen. Das chinesische Interesse am Bau zweier Flughäfen in Grönland[3] und andere Projekte in Island lösten insbesondere bis 2019 Befürchtungen in NATO-Kreisen aus. Wobei – aktuell ist das Interesse an Grönland ja auch im weißen Haus wiederentdeckt worden.

Eine letzte Facette des aggressiven Gesichts Chinas sind wirtschaftliche Druckmittel. Oft sind es kleine Staaten, die diesen Druck zu spüren bekommen. Sie werden bei Konflikten mit dem großen China durch wirtschaftliche Sanktionen abgestraft. So erging es z.B. Norwegen, dessen Lachsexporte nach China für mehrere Jahre empfindlich schrumpften, nachdem der Friedensnobelpreis 2010 an den Demokratieaktivisten und Intellektuellen Liu Xiaobo in Oslo vergeben worden war. Aber auch größere Staaten können den Druck zu spüren bekommen, wenn sie von Produkten, Rohstoffen oder Dienstleistungen aus China abhängig sind. Ganz aktuell merken wir das bei den sogenannten seltenen Erden. Diese Stoffe sind gar nicht so selten, aber ihr Abbauprozess ist schmutzig, aufwändig und sehr umweltschädlich. Bisher haben wir diesen Dreck lieber China überlassen. So erhielt das Land ein schmutziges Druckmittel in die Hand, mit dem es uns heute leicht den Versorgungshahn für die Produktion von nachhaltigen Produkten und erneuerbaren Energieinfrastrukturen abdrehen kann.

Soweit zum aggressiven Gesicht Chinas. Oft endet hier die Beschreibung dessen, was wir heutzugage über China hören, sehen und lesen. Aber leider ist die Wirklichkeit nie so einfach wie wir sie gerne hätten. China hat nämlich noch zwei andere Gesichter, die wir nur zu gerne vergessen.

2.      Da wäre zunächst einmal das Gesicht Chinas als Vermittler

Wie bei der Kieler Woche, wo nach einem stürmischen Renntag ein ruhiger Abend im Hafen folgt, zeigt China auch ein anderes, freundlicheres Gesicht – das des Vermittlers und Brückenbauers. Ich meine damit die Konnektivitität in der Entwicklungszusammenarbeit, innovative Logistikprojekte und die diplomatischen Vermittlungsaktivitäten, in denen sich China engagiert. Hier ist das ostasiatische Land auf vielfältige Weise und unter Zuhilfenahme allerhand unterschiedlicher Instrumente tätig.

2.1              Da wäre zunächst die Konnektivität in der Entwicklungszusammenarbeit.

Die Neue Seidenstraße Chinas ist sehr umstritten. Auf der einen Seite fragen wir uns: Geht es hier um Neo-Imperialismus, Neo-Kolonialismus[4] oder schlicht um zeitgenössische politische Einflussnahme? Auf der anderen Seite ist wohl unumstritten, dass mit der Neuen Seidenstraße China etwas sehr Beeindruckendes gelungen ist, nämlich ein Quantensprung in der Entwicklungspolitik.

Mit Hilfe der Seidenstraße hat China sich bereits als globaler Infrastruktur-Admiral positioniert. Stellen Sie sich vor, China würde nicht nur bei der Kieler Woche teilnehmen, sondern auch die Häfen modernisieren, neue Marinas bauen und Segelschulen finanzieren – so präsentiert sich das Reich der Mitte in vielen Teilen der Welt. So verbindet die maritime Seidenstraße des 21. Jahrhunderts die Häfen Asiens, Afrikas und Europas wie eine riesige Regattastrecke.

Im Mittelmeer investiert China massiv in Hafeninfrastruktur. Piräus in Griechenland ist das Flaggschiff dieser Strategie – einst ein verschlafener Hafen in einem hoch verschuldeten Land, heute unter der Führung des Containerriesen Cosco einer der wichtigsten, und DER am schnellsten wachsende Containerhafen Europas. Wie eine erfahrene Seglerin, die den Wind geschickt nutzt, hat China aus einem wirtschaftlichen Problem eine strategische Chance gemacht, nicht nur für sich, sondern auch für Griechenland.

Auch in anderen europäischen Häfen hat China sich eingekauft oder beteiligt: Zeebrügge und Antwerpen in Belgien, Rotterdamm in den Niederlanden[5], Valencia in Spanien, Vado Ligure in Italien, Le Havre und Marseille in Frankreich, Bilbao in Portugal und auf Malta und in Stockholm – überall investiert China in Hafeninfrastruktur und Logistikketten. In Wilhelmshaven hat die China Logistic Group Land für 99 Jahre gepachtet. Für 100 Millionen Euro wird China im Jade-Weser-Hafen ein Logitistikzentrum aufbauen. Dasgleiche gilt für Afrika und selbst in den USA und Lateinamerika. Überall entstehen Häfen oder werden Häfen ausgebaut – unter wesentlicher Beteiligung von China. Dabei muss man zwischen Cosco und anderen chinesischen Staatsunternehmen auf der einen Seite und dem Hongkonger privaten Unternehmen CK Hutchison unterscheiden.

Ein interessantes und gerade ganz aktuelles Beispiel ist Panama. China und Panama sind erst seit 2017 diplomatisch verbunden.[6] Aber schon ab Ende der 1990er Jahre hatte CK Hutchison mit dem Bau von zwei Häfen begonnen, die heute ein großes Ärgernis für US-Präsident Donald Trump darstellen. Insgesamt gibt es fünf große Containerhäfen am Panamakanal, die alle von ausländischen Firmen betrieben werden: ein singapurischer, ein US-Amerikanischer, ein Taiwanischer und zwei VR-chinesische, die von der Hongkonger Firma CK Hutchison Holdings betrieben werden. Diese beiden liegen unverschämt strategisch günstig, um den Panamakanal zu kontrollieren: der Hafen Balboa liegt an der pazifischen Mündung des Kanals und der Hafen Cristobal an dessen atlantischer. Nun, unter dem enormen Druck der Amerikaner hat sich CK Hutchison entschieden, alle seine 43 Containerhäfen außerhalb Chinas an den US-amerikanischen Investor Blackrock zu verkaufen. Noch ist der Deal aber nicht in trockenen Tüchern, denn die chinesische Regierung ist sehr unzufrieden mit dieser unternehmerischen Entscheidung des Hongkonger Unternehmens. Der Fall ist auch deshalb so interessant, weil man hier sehen kann, wie die unternehmerischen Interessen eines chinesischen Privatunternehmens und die nationalen Interessen der chinesischen Regierung weit auseinanderklaffen können. Und noch komplizierter wird die Sache dadurch, dass das chinesische Staatsunternehmen Cosco in manchen Standorten auch als nicht-chinesische Tochterfirma agiert. Der chinesische Arm reicht in diesen Fällen unterschiedlich weit.

Man kann die Hafenbeteiligungen als Ankerpunkte chinesischer Wirtschaftsmacht begreifen wie Zwischenstopps einer großen Weltumsegelung. Und natürlich schafft sich China wie andere Länder auch durch Beteiligungen an Häfen Vorteile für den eigenen Transport und möglicherweise auch für zukünftige militärische Nutzungen. Und wie man am Beispiel Tollerort in Hamburg sehen kann, ist es oft auch im Interesse der Hafenbetreiber, China ein kleines Stück abzugeben. Dadurch wir der jeweilige Hafen in Chinas eigenem Interesse zum wichtigen Teil der internationalen Schiffsrouten. Und Bedeutung und Profitchancen des jeweiligen Standorts sollen dadurch gesichert oder besser noch gesteigert werden.

Durch die chinesische Beteiligung wird den Häfen oft neues Leben eingehaucht. Piräus ist das beste Beispiel dafür. Durch sie verschieben sich die Handelsrouten und verändert sich die Bedeutung der Handelsumschlagsplätze. China reagiert damit erstens rein marktwirtschaftlich auf den gestiegenen Bedarf an Transport, Lagerung und sonstigen logistischen Dienstleistungen, die im Zeitalter der Globalisierung notwendig geworden waren. Zweitens kommt Chinas maritime Seidenstraße auch den aufstrebenden Mächten des globalen Südens zugute, die bisher weniger gut an die Handelsrouten angeschlossen waren.

2.2              Eng im Zusammenhang mit dieser neuen verbindenden Form der Infrastruktur-Entwicklungspolitik ist Chinas Verdienst, die Logistik als Thema in unserer vernetzten Welt wesentlich vorangebracht zu haben.

Man könnte sagen, dass China das Problem der Logistik komplett neu aufgerollt hat. China hat die Logistik vor allem auf der Schiene an Land global vorangebracht. Aber auch die Seewege haben sich seit Chinas wirtschaftlichem Aufstieg stark verändert. China positioniert sich als der Organisator einer globalen Wirtschaftsregatta, bei der alle Teilnehmer profitieren sollen.

Ein Beispiel ist Chinas Interesse an der Arktis. Wie erwähnt, sind seit einiger Zeit die polaren Schiffsrouten im Sommer eisfrei. In weniger als 30 Jahren, so wird von Klimaforschern vorhergesagt, könnte die Strecke das ganze Jahr über befahrbar sein.

Die Klimaveränderung eröffnet die sogenannte Nördliche Seeroute oder Nordostpassage als eine der wichtigen Seewege der maritimen Seidenstraße. Mit dieser Strecke können Schiffe Güter in nur 60% der Zeit schaffen, die sie sonst auf der südlichen Route durch den Suezkanal brauchen. Und Zeit ist Geld. Die Route beginnt an der Ostküste Chinas und führt nördlich, entlang der russischen Küste direkt nach Norwegen. In Kirkenes, einem kleinen norwegischen Ort an Norwegens schmaler Grenze zu Russland, interessierte sich China für den Ausbau eines Hafens, um einen natürlichen Haltepunkt auf dieser Route zu etablieren. Aber Norwegen und die anderen 6 NATO-Mitglieder unter den Arktischen Staaten betrachteten dieses Projekt mit großem Misstrauen. Schließlich könnte man einen solchen Hafen auch militärisch als Stützpunkt nutzen. Die Unternehmer und Lokalpolitiker in den kleinen Städten entlang der Route dagegen, sehen die großen Chancen, die mit den Cargoschiffen zu ihnen kommen könnten.

Wie kann man diese Chancen nur mit den Risiken abwägen? Abschottung ist gerade für kleine Länder wie Norwegen und abgehängte Orte wie das kleine Kirkenes an der russischen Grenze eigentlich keine Option. Die norwegische Regierung hat sich aber schon klar geäußert. Sie setzt auf Sicherheit, auch wenn dies auf Kosten der Wirtschaftsinteressen gehen würde.

Ein letzter Punkt, den ich zum vermittelnden Gesicht der chinesischen Außenpolitik ansprechen möchte, sind die diplomatischen Vermittlungsinitiativen Chinas. Leider funktionieren sie nicht dort, wo wir das gerne hätten, z.B. im Ukraine-Krieg oder in den beiden Kriegen, die Israel gerade mit seinen Nachbarn führt. China hat tatsächlich nicht für alle Konflikte einen Lösungsansatz parat, obwohl es zu vielen autoritären Staaten gute Beziehungen pflegt und man meinen sollte, dass es seinen Einfluss besser einsetzen könnte.

Und dennoch finde ich die weniger spektakulären erfolgreichen diplomatischen Streitschlichtungen erwähnenswert, in denen China sich engagiert hat. Das gehört auch zu einem vollständigen Bild des schweren Dampfers China dazu. Denn ohne Chinas Einsatz auf diesen „Nebenschauplätzen“ der Weltpolitik, gäbe es noch viel mehr offene und heiße Konflikte.

2.3              Die Medien haben sich lang und breit über den bisher gescheiterten Vermittlungsversuch Chinas im Ukrainekrieg ausgelassen.

Geglückte Versuche werden viel kürzer zur Kenntnis genommen. Z.B. hat China wesentlich dazu beigetragen, dass die regionale Rivalitätsbeziehung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran 2023 in eine normale diplomatische Beziehung umgewandelt worden ist. Ein anderer Schauplatz ist die koreanische Halbinsel: Zumindest für einen gewissen Zeitraum zwischen 2003 und 2008 konnte China als zentraler Akteur in Zusammenarbeit mit Südkorea, Russland, Japan und den USA das nordkoreanische nukleare Aufrüstungsprogramm im Zaum halten.

Im maritimen Raum ist hier insbesondere der sogenannte Code of Conduct, also Verhaltenskodex, der 10 südostasiatischen ASEAN Mitgliedsstaaten und China zu nennen. Im Jahr 2002 wurde die erste Version dieses Kodexes von allen Beteiligten unterzeichnet. Aber die Konflikte im südchinesischen Meer sind seitdem eher mehr als weniger geworden. 2023 hat Indonesien, das in dem Jahr den Vorsitz der ASEAN hatte, nochmal einen neuen Versuch gestartet. Ziel dieses Verhaltensrahmens ist, zusammen mit China eine Einigung mitsamt Regelwerk zu schaffen, die ein stabiles, sicheres, und friedliches Miteinander im Südchinesisches Meer ermöglicht. Nach ersten Verhandlungen wird nun angestrebt, diesen Einigungsprozess demnächst abzuschließen. China ist in diesen Prozess aktiv eingebunden.

So hat das Land z.B. im April zusammen mit Malaysia die bisher letzte Verhandlungsrunde gemeinsam geleitet. Die Probleme im Südchinesischen Meer sind damit noch nicht gelöst und die provozierend-aggressiven Aktionen, die man auch greyzone Aktivitäten nennt, gehen weiter. Und dennoch muss man zur Kenntnis nehmen, dass man sich hier um diplomatische Lösungen bemüht. Heutzutage kommen uns solche Versuche der zivilen Konfliktbeilegung ja schon beinahe altmodisch vor.

China ist übrigens auch in den Friedensmissionen der Vereinten Nationen überaus aktiv. Das Land stellt unter anderem mehr Blauhelmsoldaten als alle anderen Länder zusammen. Seit 1990 haben mehr als 37.000 chinesische Peacekeeper an über 20 Missionen teilgenommen. Aktuell sind 2.000 im Einsatz.

Aber, meine Damen und Herren, das ist noch nicht alles. Denn Chinas Außenpolitik hat noch eine dritte Seite, die sich auch auf Hoher See beobachten lässt.

3.       Das dritte Gesicht Chinas ist das des Innovators, des technologischen Pioniers der Meere

Wie die modernen Segelboote bei der Kieler Woche, die mit GPS, Kohlefaser und elektronischen Systemen ausgestattet sind, revolutioniert China auch die maritime Technologie.

Beginnen wir mit der Schifffahrt selbst. Bekanntlich hat China schon vor vielen hundert Jahren wichtige Erfindungen gemacht, die große Entwicklungssprünge in der Seefahrt ermöglicht haben. Sie wissen alle, dass die Chinesen den Magnetkompass und das Schwarzpulver erfunden haben. Die Nutzung von letzterem für den Schussgebrauch haben übrigens nicht die Chinesen, sondern wir Europäer erst eingeführt.

Der britische Marinekommandant und Autor Gavin Menzies versuchte in seinem umstrittenen Buch von 2002 nachzuweisen, dass die Chinesen bereits 1421, also 71 Jahre vor Kolumbus Amerika entdeckt haben müssen. Ob das stimmt, sei mal dahingestellt. Es ist eigentlich auch irrelevant, denn die Ersten Europäer, die in Nordamerika landeten, waren nach neuesten Erkenntnissen die Wikinger im Jahr 1021.[7] In seinem Buch über den Seefahrer Zheng He jedenfalls, hat Menzies, eine ganze Menge weiterer chinesischer Erfindungen zusammengetragen, z.B. mehrmastige Schiffe und sehr fortschrittliche Vorratshaltung für die extensiven Schiffsreisen zu fernen Ländern.

China ist heute der weltgrößte Schiffbauer und betreibt die größte Handelsflotte der Welt. Aber es geht nicht nur um Quantität – chinesische Werften bauen heute die modernsten und umweltfreundlichsten Schiffe. In Shanghai entstehen Containerschiffe, die mit Flüssiggas betrieben werden, und in Dalian werden Kreuzfahrtschiffe gebaut, die höchsten Standards entsprechen.

Die Innovation zeigt sich auch in der Elektrifizierung der Schifffahrt. Wie bei der Kieler Woche moderne Segelboote zunehmend Hybrid-Antriebe nutzen, experimentiert China mit elektrischen Frachtschiffen und wasserstoffbetriebenen Fähren. Der Yangzi-Fluss wird zum Testgebiet für autonome Frachtschiffe – eine Revolution, die bald die Weltmeere erreichen könnte.

In der Meerestechnik setzt China neue Maßstäbe. Die Tiefsee-Forschungsstation „Jiaolong“ (Flutdrachen) kann bis zu 7.000 Meter tief tauchen und ermöglicht wissenschaftliche Entdeckungen in bisher unerforschten Meerestiefen. Wie die Pioniere der Seefahrt, die einst unbekannte Gewässer erkundeten, dringt China in die letzten Geheimnisse der Ozeane vor.

Besonders beeindruckend ist Chinas Engagement in der nachhaltigen Meeresnutzung. Vor der Küste Chinas entstehen die größten Offshore-Windparks der Welt. Diese schwimmenden Windkraftanlagen sind moderne Windmühlen auf See, die saubere Energie erzeugen. Im Südchinesischen Meer testet China schwimmende Solarparks – eine Innovation, die zeigt, wie Meeresraum für erneuerbare Energien genutzt werden kann.

Die Aquakultur ist ein weiteres Feld chinesischer Innovation. Während bei der Kieler Woche Segler um die beste Taktik und den elegantesten Törn wetteifern, revolutioniert China die Fischzucht. Schwimmende Fischfarmen vor der chinesischen Küste produzieren mehr Fisch als ganze traditionelle Fischereinationen. Was die Chinesen dort züchten, ist nicht zuletzt auch vielfältiger z.B. als die recht einseitge Lachszucht in Norwegen.  Diese „blaue Revolution“[8] könnte helfen, das Überfischen der Meere zu stoppen und die Welternährung eiweißreicher zu gestalten.

In der Arktis zeigt China innovative Ansätze zum Umgang mit extremen Bedingungen. Der Eisbrecher „Xue Long 2“, den ich bereits erwähnt hatte, ist eine technologische Meisterleistung. Er kann in beide Richtungen Eis brechen – wie ein wendiges Segelboot, das bei jedem Wind segeln kann. Diese Technologie eröffnet neue Möglichkeiten für arktische Forschung und Navigation.

Auch in der Unterwassertechnologie ist China zusammen mit den USA spitze. Autonome Unterwasserfahrzeuge kartieren den Meeresboden, sammeln wissenschaftliche Daten und überwachen Meeresströmungen. Diese robotischen „Taucher“ arbeiten monatelang autonom in den Tiefen der Ozeane und senden ihre Daten per Satellit an die Zentrale.

Das innovative Gesicht Chinas zeigt sich auch darin, dass die Maritime Seidenstraße nicht nur physische, sondern auch digitale Ausformungen hat. Chinesische Telekommunikationsunternehmen wie Huawei verlegen Unterseekabel, die Kontinente verbinden. Diese digitalen Seestraßen sind ebenso wichtig wie die physischen Häfen und Schiffe – sie transportieren nur Daten statt Container, aber mit ähnlicher strategischer Bedeutung. Mit der Logistik von Dingen und Daten verbreiten sich auch Wissen und Technologien.

Ein schönes Beispiel dafür ist das chinesische satellitenbasierte Navigationssystem Beidou. Der Name bezieht sich auf das Sternbild, das wir Großer Bär nennen.[9] Beidou ist das chinesische Pendant zum westlichen GPS-System. Das chinesische System wird schon von über 100 Ländern genutzt. Vor allem Länder, die sich von dem amerikanisch dominierten GPS-System unabhängig machen wollen, wie z.B. Pakistan, Saudi-Arabien, Myanmar, Kasachstan oder Usbekistan. Beidou ist in großen Teilen genauer als GPS und hat unter anderem den großen Vorteil, dass man mit den entsprechenden Empfangsgeräten Kurznachrichten direkt über Satellit verschicken und empfangen kann, ohne Telefonnetz. Das ist zum Beispiel bei Naturkatastrophen sehr nützlich, wenn die Telekommunikation ausfällt. Chinesische Fischer schätzen diese Eigenschaften und nützen Beidou auch immer mehr. Übrigens kann man das chinesische Navigationssystem fast überall nutzen, es soll schon über 200 Länder abdecken.

Die digitale Innovation macht auch vor den Häfen nicht halt. Chinas „Smart Ports“ in Shanghai und Ningbo nutzen künstliche Intelligenz und automatisierte Systeme, um Container effizienter zu bewegen. Roboter-Kräne arbeiten rund um die Uhr, gesteuert von Algorithmen, die den Hafenbetrieb optimieren – eine Revolution der Logistik, die sich weltweit ausbreitet.

4.       Hier müssen wir jetzt einen Zwischenstopp einlegen und einmal kurz revuepassieren lassen, was wir bisher auf dieser Seereise gesehen und erlebt haben

Wir haben gesehen, dass China außenpolitisch auf drei sehr unterschiedliche Weisen agiert: als Aggressor, als Vermittler und als Innovator. Vielleicht ist Ihnen das Gesicht des Aggressors bekannter vorgekommen und das des Vermittlers und Innovators ist vorher weniger klar gewesen.

Dann hätte ich mit meinem Vortrag schon mein erstes Ziel erreicht. Sie haben nun ein breiteres Spektrum der chinesischen Außenpolitik vor Augen als vor etwa einer halben Stunde.

Mein zweites Ziel im letzten Teil meines Vortrags ist aber nun, mit Ihnen ins Gespräch zu kommen. Ich möchte daher ein paar Thesen aufstellen, die unsere Seite des Verhältnisses mit China betreffen.

Wie die Segler und Seglerinnen bei der Kieler Woche, die gleichzeitig Wind, Strömung und andere Boote im Auge behalten müssen, stehen wir vor der komplexen Aufgabe, mit allen drei Aspekten der chinesischen Außenpolitik umzugehen. Die Herausforderung liegt darin, dass diese drei Gesichter nicht getrennt voneinander existieren, sondern wie ein Sturm, eine Flaute, Sonnenschein und Regen jederzeit aufkommen und uns einzeln oder gleichzeitig herausfordern können.

Es ist vielleicht in meinem bisherigen Vortrag auch deutlich geworden, dass man die Dinge oft auch aus mehreren Perspektiven sehen kann. In der Taiwanstraße zeigt China gleichzeitig alle drei Gesichter: militärische Aggression durch Manöver und Drohungen, wirtschaftliche Verbindung durch Handelsbeziehungen, und technologische Innovation durch Halbleiter-Entwicklung. Wie soll die internationale Gemeinschaft auf diese Vielschichtigkeit reagieren?

Im Südchinesischen Meer ist die Situation ähnlich komplex. China baut militärische Inseln (ist also Aggressor), investiert aber gleichzeitig in Infrastruktur der Anrainerstaaten (hier ist es Vermittler) und entwickelt umweltfreundliche Meerestechnologien (und wird zum Innovator). Die betroffenen Länder müssen zwischen Sicherheitsbedenken und wirtschaftlichen Chancen navigieren – wie Segler zwischen Klippen und günstigem Wind.

5.      Ich möchte deshalb am Ende dieses Vortrags 5 Strategien für den Umgang mit den unterschiedlichen Seiten der chinesischen Außenpolitik zur Diskussion stellen, wie wir als Gesellschaft und die Politik mit dieser komplexen Realität umgehen können

5.1              Erstens, die „Mehrfach-Kompass-Strategie

Wie ein erfahrener Segler verschiedene Navigationsinstrumente nutzt, müssen wir für jedes Gesicht Chinas unterschiedliche Antworten entwickeln. Auf Chinas aggressive Haltung im Südchinesischen Meer antworten wir mit Rechtsstaatlichkeit und multilateraler Sicherheitskooperation. Der Vermittler-Rolle Chinas begegnen wir konstruktiv mit eigenen vermittelnden Vorschlägen, aber auch mit Verweis auf bestehende Handelsregeln und Transparenzanforderungen. Chinas Innovationen fördern wir durch wissenschaftliche Zusammenarbeit und Technologietransfer – zumindest da wo sie unsere eigene Sicherheit nicht gefährden. Deshalb sollten wir noch viel mehr Energie und Zeit in die Erforschung der Frage stecken, wo heutzutage Wissenschaftskooperation möglich und sinnvoll ist.

5.2              Zweitens, die „Regatta-Regel-Strategie“

Bei der Kieler Woche sorgen klare Regeln für fairen Wettbewerb. Ähnlich müssen wir internationale Institutionen stärken, und zwar mit einem ehrlichen Dialog mit China und den anderen aufstrebenden Ländern des globalen Südens, darunter Brasilien, Indien und die ASEAN Staaten. Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen muss konsequent weiterentwickelt werden, denn für sehr viele Fragen und Konflikte hat es noch keine guten Antworten parat. Die Welthandelsorganisation braucht dringend Reformen, die der aktuellen Wirtschaftsentwicklung im globalen Süden und den digital veränderten Produktions- und Lieferketten besser entsprechen. Wir brauchen neue Regeln, Instrumente und Institutionen für Entwicklung, digitale Governance, Klimaschutz und öffentliche Gesundheit. Anstatt Chinas alternative Institutionen wie die neue Seidenstraße oder die Asian Infrastructure Investment Bank von vorneherein zu verdammen, sollten wir uns damit auseinandersetzen, welche Bedürfnisse der Nicht-Westlichen Welt sie erfüllen. Darauf aufbauend können wir dann globale Institutionen entwickeln, die alle wirklich weiterbringen, nicht nur uns.

Nebenbei bemerkt: In der Außenpolitik vieler Länder, einschließlich der Deutschen und der EU wird der präzise und konkrete Begriff des internationalen Rechts durch den inhaltsleeren Begriff „regelbasierte Ordnung“ zunehmend ersetzt. Das ist ein gefährlicher Trend, der das Internationale Recht auf die Dauer schwächen kann.  Achten Sie mal darauf!

5.3              Drittens, die „Flottenbildungs-Strategie“

Auf dem Wasser können kleinere Boote durch geschickte Koordination größere Schiffe herausfordern. Demokratische Staaten müssen eng zusammenarbeiten: Neue Entwicklungen in der Gesetzgebung der Europäischen Gemeinschaft, sowie Gruppierungen wie die Quad-Gruppe bestehend aus den USA, Indien, Japan und Australien und die AUKUS Gruppe aus Australien, Großbritannien und den USA im sicherheitspolitischen Bereich, und auch die G7-Koordination in der Wirtschaftspolitik sind Beispiele für eine erfolgreiche „Flottenbildung“. Dasselbe gilt für den Plan der deutschen Bundesregierung in der Außenpolitik klar zu signalisieren, dass sich Deutschland als Teil der Europäischen Union versteht.

Die Bedrohung durch Aggressoren wie Vladimir Putin haben uns in der EU näher zusammengebracht, und das hat uns sicher stärker und resilienter gemacht. Allerdings darf das nicht zu kurzsichtiger Symbolpolitik führen. Und letztendlich muss die Flottenbildung zur Verhandlung mit allen dienen, nicht zur Abschottung, nicht zu einem „Wir gegen Die“.

5.4              Viertens, die „Alternative-Route-Strategie“

Kluge Segler haben immer einen Plan B. Wir müssen starke Alternativen zu Infrastruktur und Technologie anderer Staaten entwickeln. Jede Form von Abhängigkeit kann für uns nach hinten losgehen. Deshalb müssen wir in Europa nicht nur viel mehr in Bildung und Forschung und eigene Technologie-Entwicklung investieren, sondern auch mehr über die negativen Nebenwirkungen und sichere Wege der Nutzung von Digitalisierung, künstlicher Intelligenz und Co. forschen. Übrigens tun das die Chinesen auch. Aber da wir nicht mehr mit ihnen zusammenarbeiten, erfahren wir darüber viel zu wenig. 

5.5              Fünftens und letztens, die „Konstruktive-Konkurrenz-Strategie“

Die besten Regatten fördern sowohl Wettbewerb als auch Sportsgeist. Wir sollten den Wettbewerb mit China in Bereiche lenken, die der gesamten Menschheit nutzen: Klimaschutz, Meeresforschung, nachhaltige Entwicklung und Technologieentwicklung. Wenn China seine Innovationskraft für globale Herausforderungen einsetzt, profitieren alle. Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass dieser Wettbewerb nach fairen Regeln stattfindet und niemand zurückbleibt.

6.      Ich komme zum Fazit

Wie die Teilnehmer der Kieler Woche wissen, erfordert erfolgreiches Segeln Respekt vor der Macht der Elemente, aber auch den Mut, neue Kurse zu wagen. China ist heute die größte Herausforderung und gleichzeitig eine der wichtigsten Chancen für die internationale Ordnung.

Wir haben gesehen, dass China nicht nur ein Gesicht hat, sondern drei: den Aggressor, der internationale Normen herausfordert; den Vermittler, der neue Brücken zwischen Kontinenten baut; und den Innovator, der technologische Grenzen verschiebt. Jedes dieser Gesichter erfordert eine andere Antwort, aber alle drei verlangen von uns strategisches Denken und taktische Flexibilität.

Ich habe in diesem Sinne fünf Strategien vorgestellt:

  • Die Mehrfach-Kompass-Strategie der außenpolitischen Flexibilität
  • Die Regatta-Regel-Strategie, die daraufsetzt, internationale Regeln unter Beteiligung aller weiterzuentwickeln.
  • Die Flottenbildungs-Strategie, die daraufsetzt, im Verbund mit gleichgesinnten stark in der Verhandlung mit den Großen Playern in der Weltpolitik agieren zu können.
  • Die Alternative-Route-Strategie, die auf die eigene Stärke und Unabhängigkeit durch Innovation und Wissen setzt.
  • Und schließlich die Konstruktive-Konkurrenz-Strategie, die auf fairen Wettbewerb mit sozialem Gewissen setzt und alle Player voranbringt.

Die Ozeane unserer Welt sind groß genug für alle Nationen, aber nur wenn wir sowohl die anderen als auch die gemeinsamen Regeln respektieren und friedliche Navigation sicherstellen. China ist nicht mehr nur ein regionaler Akteur, sondern eine globale maritime Macht. Wie wir mit dieser Realität umgehen, wird darüber entscheiden, ob die Weltmeere Räume der Kooperation oder der Konfrontation werden.

Kurz: Es wird Zeit, dass wir wieder mehr miteinander reden. Statt wie das kleine führerlose Ruderboot auf den herannahenden Ozeanriesen zu starren und unsere ganze Kraft auf die Vorbereitung der Kollision, wohlmöglich in Form eines dritten Weltkriegs zu setzen, müssen wir aktiv werden, und um neue Regeln und Institutionen ringen – mit allen Beteiligten.

Nur so können wir dafür sorgen, dass die Welt „Ein Zuhause für alle“[10] bleibt.

Vielen Dank.


[1] Dazu kommen noch 4 direktverwaltete Städte und 5 selbstverwaltete Gebiete.

[2] Jemenitische Miliz, die Schiffe angreift, die Israel unterstützen.

[3] https://www.reuters.com/article/business/china-withdraws-bid-for-greenland-airport-projects-sermitsiaq-newspaper-idUSKCN1T5190/

[4] Kolonialismus: Gründung, Ausbeutung und Aufrechterhaltung von Kolonien in anderen Gebieten als dem eigenen Land. Imperialismus: Politik oder Ideologie, die Herrschaft einer Nation über andere Gebiete auszudehnen. Es kann auch indirekte Herrschaft und Abhängigkeitsverhältnisse umfasen. Kolonialismus ist eine Form von Imperialismus.

[5] Seit 2016 mit 35% am Euromax Terminal beteiligt.

[6] Bis dahin war Panama Partnerland von Taiwan.

[7] https://www.sueddeutsche.de/wissen/wikinger-ankunft-amerika-datum-1.5446945

[8] ein seit Mitte der 1960er Jahre laufender Versuch der Weltbank und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der UNO, die Ernährungssituation – vor allem die Versorgung mit Eiweiß – in den Entwicklungsländern zu verbessern. Dabei wird eine Umorientierung der landwirtschaftlichen Produktion hin zu Erzeugnissen der Fischzucht oder etwa der Garnelenzucht ins Auge gefasst.

[9] Der Große Wagen ist ein Teil dieses Sternbilds.

[10] Motto der diesjährigen Kieler Woche.

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