Die taiwanesische Kuomintang (KMT) hat eine neue Vorsitzende. Cheng Li-wun wurde am 18. Oktober an die Spitze der Partei der größten Oppositionspartei des Landes gewählt. Sie setzte sich mit einem Stimmenanteil von knapp über 50 Prozent gegen fünf Konkurrenten durch, darunter der Zweitplatzierte, der ehemalige Bürgermeister von Taipeh, Hau Lung-pin. Er ist 73 Jahre alt, Cheng hingegen 55 Jahre jung. Beobachter interpretieren die Wahl von Cheng auch als Ausdruck eines Generationswechsels, aber auch als Ende der alten Seilschaften. Philip Yang, Geschäftsführer des Thinktanks Taipei Forum sagte gegenüber Straits Times (Singapur): „Cheng represents fresh energy and a fighting spirit, so she is seen as capable of taking the KMT into a new era.” Sie selbst sagt, die KMT brauche frischen Geist und einen wirklichen Generationswechsel, „so we can win back the trust and participation of Taiwan’s young people.“ In einem ausführlichen Interview mit dem taiwanesischen Influencer Chen Chih-han übte sie Kritik an der bisherigen KMT-Führung: „We‘ve become masters of infighting, amateurs at out-fighting.“ Sie forderte mehr Transparenz in der Partei: „No black boxes, no backroom dealings, no private anointing.“
Sie sieht sich als eine Reformerin der Partei. Im parteiinternen Wahlkampf sprach sie immer wieder davon, die KMT von einem „flock of sheeps“ in ein „pack of lions“ zu verwandeln. Bei der Reform der Partei könnte es von Vorteil sein, dass Cheng Li-wun kein Teil der traditionellen Elite der KMT ist. Sie begann ihre politische Karriere sogar bei der derzeit herrschenden DDP. Erst 2005 trat sie in die KMT ein, für die sie zweimal im Parlament saß. Später arbeitete sie auch als TV-Kommentatorin.
Doch noch mehr als die interne Reformarbeit interessiert die Antwort auf die Frage: Wie ist ihr Verhältnis zu China? Die KMT gilt ja als China-freundliche Partei. Auf den Vorwurf, ihre Partei sei von China gesteuert, erwidert sie, dass das ein „very cheap label“ sei. Im Wahlkampf erregte sie mit folgender Forderung Aufmerksamkeit: „I want that all Taiwanese people be able to proudly and confidently say, I am Chinese.” Außerdem sagte sie, sie würde sich freuen, Chinas Staatschef Xi Jinping zu treffen. Dieser schickte auch gleich nach ihrer Wahl Glückwünsche, in denen er anbot „working hand in hand to create an even brighter future for the Chinese nation.“
Cheng glaubt nicht an einen Krieg: „The chance of war across the Taiwan Strait is extremely low”, erklärte sie in dem schon erwähnten Interview. Ein Krieg wäre „the darkest choice imagenable.“ Sie spricht sich gegen eine weitere Erhöhung des Militärhaushalts aus. Derzeit beträgt dieser 2,45 Prozent des Sozialprodukts. Die DDP-Regierung plant eine Erhöhung erst auf drei Prozent (2026) und dann auf fünf Prozent (2030). Ihr ist das zuviel: „Why are we pouring money into war?“ Ihre China-Politik ist geprägt vom sogenannten „Konsensus von 1992“. Sie sagt: “Our goal isn‘t unification or independence. My goal is simple: That ordinary people can live in peace, build a livelihood, chase their dreams.”
Obwohl die KMT derzeit in der Opposition ist, ist sie sehr einflussreich. Denn zusammen mit der anderen Oppositionspartei, der TPP, hat sie im Parlament die Mehrheit. Der regierende Präsident Lai (DDP) muss deshalb immer wieder um die Zustimmung der Opposition buhlen. Die nächsten Präsidentschaftswahlen finden 2028 statt. Die Kandidatin der KMT könnte dann Cheng Li-wun sein.
Info:
Hier das Interview von Cheng Li-wun mit Chen Chih-han im Wortlaut: https://www.eastisread.com/p/meet-cheng-li-wen-the-new-chair-of