GESELLSCHAFT I Die schwierige Lage junger Arbeitsloser

Das Rumianke Hostel in der Nähe von Shanghais Jiangsu Road: Vier, sechs oder gar acht Betten türmen sich in einem 20 Quadratmeter   Raum. Hier hausen keine Budget-Urlauber. Hier wohnen wochen- oder gar monatelang junge Chinesinnen und Chinesen, die auf Jobsuche sind. Ein Trend, der auch in anderen chinesischen Großstädten festzustellen ist: „Youth hostels in big cities have gradually shifted from being stopovers for backpackers to temporary heavens for jobseekers.”, schreibt die Shanghai-Korrespondentin Li Kang, die für die chinesische Zeitung Lianhe Zaobao in Singapur arbeitet. Sie hat mehrere solcher Hostels in Shanghai besucht und hat mit Bewohnern gesprochen.

Zum Beispiel den 28jährigen Kun. Er kommt aus Shenzhen und sucht in Shanghai einen Job als Designer. Er hat sich für 80 Yuan die Nacht im Ruminanke Hostel einquartiert. 50 Yuan pro Tag ist sein Budget für Essen. Wenn er das nicht überschreitet, könne er sechs Monate hier auf Jobsuche gehen, sagt er. Wie die meisten Mitbewohner sitzt er abends an den kleinen Desks im Gemeinschaftsraum und schreibt Online-Bewerbungen. Das macht auch die 20jährige Wirtschaftsstudentin Lei Xin, die eine Praktikumsstelle sucht. Sie macht sich keine Illusionen: „A three to five year career plan is impossible. If I can be sure of what I’ll  be doing next year, that’s already pretty good.” Der gegenwärtige Arbeitsmarkt sei “brutal, distorted, terrifying.”

Jeder fünfte Jugendliche im Alter zwischen 16 und 24 Jahre ist auf Arbeitssuche. Im August betrug die Arbeitslosenrate für diese Altersgruppe 18,9 Prozent. 2018 betrug sie knapp über zehn Prozent. Dann schnellte sie im Jahr 2023 nach oben und zwar deutlich über 20 Prozent. Daraufhin veröffentliche die Regierung keine Zahlen mehr zur Jugendarbeitslosigkeit. Inzwischen hat sie die Statistik geschönt, indem sie die Studierenden rausgenommen hat. Trotzdem verharrt die Arbeitslosenrate bei knapp 20 Prozent.

The 19-Percent-Project nennt deshalb das Asia Society Policy Institute eine Serie von Artikeln über die chinesische Jugendarbeitslosigkeit. Leiter des Projekts ist Barclay Bram.  In seinem Artikel vom 3. September beginnt er mit einem   Beispiel, das zeigt, wie Angebot und Nachfrage auseinanderklaffen. Er zitiert einen Post der China National Nuclear Corporation (CNNC): „We received 1 926 723 resumes! We are hiring 1730 key roles”. Fast zwei Millionen Bewerbungen auf rund 1700 Stellen – das ist krass. Eine Erklärung für die zunehmende Nachfrage ist, dass immer mehr Hochschulabsolventen auf den Arbeitsmarkt drängen. Dieses Jahr waren es 12,2 Millionen, 430 000 mehr als im Vorjahr. Viele von ihnen finden keinen adäquaten Job und verdingen sich in der Gig-Economy. Über 20 Prozent der Fahrer für die beiden großen Essenslieferanten Ele.me und Meituan haben einen Collegeabschluß, rund 70 000 sogar einen Masterabschluß. Viele dieser jungen Arbeitssuchenden sind desillusioniert, haben sogar Schulden (87 Prozent der jungen Chinesen unter 30 haben – so Bram – „some form of debt“). Barclay Bram spricht von „broken dreams of tens of millions of young Chinese“. Dies bewirkt eine veränderte Haltung zum Thema Ungleichheit in der Gesellschaft. In einer Umfrage von 2014 hätte noch die Mehrheit geglaubt, „that inequality in Chinese society was largely the result of individual failings.“, schreibt Bram. 2023 habe sich die Meinung geändert. Nun betrachtet die Mehrheit die Ungleichheit als „a structural failing related to unequal opportunities, corruption and a failing economy”.

Ist diese Einstellung eine Gefahr für die herrschende KP, die das Versprechen nicht mehr einlösen kann, dass es allen immer besser gehen wird? Bram rechnet nicht mit einer enttäuschten revoltierenden Jugend: „It is unlikely to be a source of dramatic upheaval.” Im Gegenteil: Viele junge Menschen würden einen sicheren Job beim Staat suchen und sogar eine KP-Mitgliedschaft anstreben. Aber das sollte man nicht missverstehen: „This is not a vote for the system but rather as reflection of the deep anxieties that young people feel about their future:”

Info:

Hier der Artikel von Li Kang in ThinkChina:

https://www.thinkchina.sg/society/big-read-prayers-and-packed-bags-how-chinas-youth-are-navigating-jobless-future

Und hier der Artikel von Barclay Bram (Asia Society Policy Institute):

https://asiasociety.org/policy-institute/19-percent-revisited-how-youth-unemployment-has-changed-chinese-society

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