Es war 1999, als Cora Jungbluth (45) in ihrer Heimatstadt Heidelberg das Sinologie-Studium begann. Warum sie damals dieses doch relativ exotische Fach wählte? „Wegen der Schriftzeichen und des Essens.“ Beides faszinierte sie, beides habe sie schon als Schülerin kennen- und lieben gelernt. „Mit 16 Jahren ging ich schon in chinesische Restaurants, die damals in Heidelberg oft von Vietnamesen betrieben wurden und kein authentisches chinesisches Essen servierten“, sagt sie. Parallel zur Oberstufe lernte sie an der Volkshochschule Heidelberg ein Jahr lang Chinesisch. Doch diese Vorkenntnisse waren der Stoff von gerade einmal zwei Wochen des einjährigen Sprach-Propädeutikums, das in Heidelberg dem Sinologie-Studium obligatorisch vorgeschaltet ist. „Ziemlich erschreckend“ fand sie die dieses zu Beginn. Aber sie biss sich durch.
Und sie traf eine sehr weitsichtige Entscheidung: Sie nahm Wirtschaftswissenschaften als Nebenfach. „China und Wirtschaft – das passt gut zusammen“, sagte sie sich damals. Die Jahrtausendwende war die Zeit des chinesischen WTO-Beitritts Viele deutsche Firmen begannen in China zu investieren und die ersten chinesischen Unternehmen wagten sich auf die internationalen Märkte. Es waren Aufbruchszeiten in China. Zweimal konnte Cora Jungbluth diese live vor Ort miterleben.
Nach dem Propädeutikum verbrachte sie ein Jahr in Shanghai (2000-2001), nach dem Magister-Abschluss 2006 war sie ein Jahr an der Tsinghua-Universität in Beijing, um internationale Volkswirtschaft zu studieren. Dieses Studium war komplett in Chinesisch. „Das gab meinen Sprachkenntnissen nochmals einen richtigen Schub“, sagt sie. Zurück in Heidelberg startete sie ihre Promotion. Thema war natürlich ein Wirtschaftsthema: Die Internationalisierung chinesischer Unternehmen. 2011 schloss sie ihre Promotion ab (eine erweiterte Fassung erschien 2015 als Buch im Nomos Verlag mit dem Titel „Going Global – Die internationale Expansion chinesischer Unternehmen“).
Kurz danach nahm sie eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Freiburg an. Es war ein fliegender Wechsel von Nord- nach Südbaden: „Morgens habe ich in Heidelberg meine Doktorarbeit abgegeben, mittags zog ich nach Freiburg um.“ Dort fing sie mit ihrer Habilitation zu Umwelttechnologie und -politik in China an. Diese sollte auch zwei Fallstudien umfassen: eine zu E-Mobilität, eine zu Photovoltaik. „Wenn ich das durchgezogen hätte, wäre das zumindest bei E-Mobilität wohl Pionierarbeit geworden.“ Aber es kamen ihr schnell erste Zweifel: „Eine akademische Karriere in Deutschland bietet
doch eine unsichere Perspektive.“ Zudem wollte sie praxisbezogen arbeiten.
So wechselte sie bereits 2012 zur Bertelsmann Stiftung ins beschauliche ostwestfälische Gütersloh.Der Hintergedanke, den sie natürlich damals für sich behielt, war: „Super, das mache ich jetzt zwei, drei Jahre – und dann lande ich in Shanghai oder
Beijing.“
Denkste. Die Arbeit bei der Bertelsmann Stiftung entpuppte sich als aus- und erfüllend. Sie konnte im neu eingerichteten Asien-Schwerpunkt der Stiftung den China-Bereich mit aufbauen. Und sie konnte regelmäßig nach Asien reisen, auch nach Japan und Südkorea. 2021 wurde das Asien-Programm jedoch wieder eingestellt. Seitdem führt Cora Jungbluth die China-Themen im strategisch neu aufgestellten Europa-Programm und koordiniert intern gemeinsam mit ihrem für Indien zuständigen Kollegen Murali Nair auch die Indopazifik-Themen der Bertelsmann Stiftung.
Als Senior Expertin für China und Asia-Pazifik ist sie eine der ganz wenigen deutschen Expertinnen für chinesische Wirtschafts- und Handelspolitik. Die Themen sind inzwischen andere als früher: Geopolitik, Wirtschaftssicherheit, globale Blockbildung. Die Euphorie aus den Nuller-Jahren ist verflogen. „Es gibt nun viele Themen, die die Beziehungen belasten, wie zum Beispiel Chinas Nähe zu Russland und die Überkapazitäten.“ Auch die politische Situation in China habe sich unter Xi Jinping verändert. Dabei nimmt sie für sich in Anspruch, immer realistisch gewesen zu sein: „Ich habe nie erwartet, dass sich China liberalisiert. Die Entwicklungen unter Xi Jinping hätte ich aber auch nicht erwartet.“
So sitzt sie also im Sommer 2025 immer noch in Gütersloh, wo sie inzwischen längst ihre asiatischen Lieblingslokale gefunden hat – „ich bin ein großer Fan asiatischen Essens“. Ab und zu schaut sie noch in Heidelberg vorbei, wo ihre Eltern leben – und
wo sie noch einige Kontakte zu Kolleginnen und Kollegen der Heidelberger Sinologie hält.
Dieses Porträt erschien zuerst in der Serie „Hirns Köpfe“ auf der Homepage des China Netzwerk Baden-Württemberg (CNBW). Das CNBW ist eine Plattform für Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft, die zu einem besseren Verständnis insbesondere zwischen Baden-Württemberg und China beitragen möchte. Mehr unter: https://china-bw.net/de/cnbw