WAN HUA ZHENG I Das Meisterwerk von Jensen Huang / Von Liu Zhengrong

Jensen Huang, der CEO des amerikanischen Chipherstellers Nvidia, stellte sich am 17. Juli am Rande der China Supply Chain Expo in Peking 40 Minuten lang geduldig den Fragen der Medien, wie immer in der schwarzen Lederjacke, und bei 34 Grad Hitze. Da Huangs Chinesisch nicht konversationssicher ist, behalfen sich die zumeist jungen chinesischen Reporter mit mal gutem, mal holprigem Englisch. Huang blieb freundlich, zugewandt und beantwortete selbst konfusen Fragen mit selbstbewusster Klarheit. Dabei überhäufte er China mit geradezu überschwenglichem Lob.

So sagte er: „China is moving incredibly fast on AI, especially on the application level. Deepseek as the world’s first open-source reasoning model is no doubt a breakthrough.” Oder: „At the foundation level of AI, China’s education system has produced some of world’s finest AI researchers. About 50% of the global AI researchers are based in China.”

Jensen Huang hatte allen Grund zur guten Laune. Die Nachricht, dass er den H20 GPU – nach nur drei Monaten Unterbrechung – wieder nach China verkaufen darf, katapultierte Nvidias Börsenwert auf über vier Billionen US-Dollar. Während sich ganz Europa (und nicht nur hier) fragt, wie man im Spannungsfeld der sino-amerikanischen Rivalität navigiert, gelang Jensen Huang mit der H20-Wende ein Meisterstück: Er überzeugte Washington von einer Freigabe. Parallel konnte er den starken Widerstand in China gegen den H20-Import – eine außerhalb China kaum bekannte Tatsache – überwinden. China und die USA fühlen sich beide als Gewinner, irgendwie. In Wirklichkeit gewinnt Nvidia am besten.

Die H20 GPU-Serie ist selbst eine „Sonderanfertigung“ der Geopolitik:

  • Oktober 2022: Exportverbot für High-end Chips A100 / H100 nach China. Nvidia reagierte mit der „Sonderedition“ A800/H800.
  • Oktober 2023: Der A800/H800 Export nach China wurde untersagt. NIVDIA bracht daraufhin die nochmals abgespeckte H20-Serie.
  • April 2025: Auch der Export von H20 wurde verboten. Es folgten Milliarden-Abschreibungen und ein Kurssturz der Nvidia-Aktie.

Seitdem arbeitete Jensen Huang mit aller Kraft, um die Entscheidung der Trump-Regierung wieder zu kippen. Im Mai titelte die Financial Times: „Nvidia Chief Huang condemns US Chip curbs on China as “a failure”. Die Kritik äußerte Huang ausgerechnet während seines Besuchs in Taiwan.   

Huangs zentrales Argument in dieser Auseinandersetzung: Chinesische Chip-Hersteller sind bereits in der Lage, H20-ähnliche Chips selbst herzustellen. Nvidia müsse präsent bleiben – oder das Unternehmen verliere auf Dauer den chinesischen Markt.

Anfang Juli übernahmen US-Finanzminister Scott Bessent und Handelsminister Howard Lutnick Huangs Argumentation öffentlich. Lutnick sagte, die Chinesen sollten ruhig „süchtig nach den viertbesten Chips“ von Nvidia werden.

Die H20-GPU ist ein leistungsfähiger KI-Chip, wurde jedoch an drei Schlüsselstellen künstlich begrenzt: Rechenkapazität („compute density“), Speicherbandbreite („memory bandwidth“) sowie Verbindungsbandbreite („interconnect bandwidth“). Besonders Letzteres ist kritisch. H20 wurde nämlich qua Design „mit chirurgischer Präzision“ – so ein Nvidia- Insider – außer Stand gesetzt, effizientes KI-Training im ultragroßen Maßstab, d.h. auf Billionen-Parameterebene, durchzuführen. So sollte China beim Rennen um AGI und ASI (Artificial General Intelligence und Artificial Super Intelligence) nicht an den  USA vorbeiziehen.

Das alles bekam China mit, auch das ungeschminkte H20-Zitat von Lutnick. Während manche die H20-Entscheidung aus Washington als einen weiteren Erfolg Chinas im Handelskrieg gegen die USA feierten, warnten prominente chinesische Stimmen vor der Gefahr durch die H20-Schwärme. China sollte mindestens 50 Prozent Zölle auf H20-Import erheben, forderte ein einflussreicher Tech-Blogger. Die USA wolle chinesische Konkurrenten, vor allem Huawei, gezielt schwächen, sagte ein Professor der Fudan-Universität, der Millionen Follower hat. Der Nvidia-Chef hob diese Tage auffallend oft seine Bewunderung für Huawei hervor: „Huawei is a formidable technology company“. Der Gelobte hüllte sich hingegen in vielsagendes Schweigen.

Mehrere Kommentatoren verwiesen in diesem Zusammenhang erneut auf die Dominanz von CUDA hin, das proprietäre Programmiermodel von Nvidia. Setze sich CUDA wie schon überall auf der Welt auch in China als der beherrschende Standard durch, könne die chinesische KI-Abhängigkeit schnell so groß werden wie umgekehrt die amerikanische Abhängigkeit von chinesischen Seltenen Erden. Auch wurden Vergleiche gezogen zu der Abhängigkeit Europas von Android, iOS und Microsoft. Denn CUDA ist die Basis für KI-Ökosysteme, genauso wie Andriod und iOS für das mobile Internet. Sogar große Tageszeitungen schrieben, „China könnte ohne Nvidia schneller unabhängig werden bei der Chip-Herstellung.“

Die Sorgen sind offenkundig: Im Vergleich zu den lokalen Chips ist H20 nur ein klein wenig besser, wenn überhaupt, dafür aber viel leichter zu benutzen wegen des bewährten CUDA-Ökosystems. Denn die meisten chinesischen KI-Forscher und -Techniker sind mit CUDA groß geworden.

Der stets freundliche und lobende Jensen Huang hat also einen ebenso weitsichtigen wie raffinierten Plan in der größten geopolitischen Arena durchgesetzt. Die Trump-Regierung hatte ihn gehört und verstanden.

Aber warum ließ sich China ebenfalls drauf ein?  

„Auch die geschickteste Köchin könnte ohne Reis kein Essen kochen,“ so ein viel benutztes chinesisches Sprichwort. Chinas KI-Strategie setzt auf schnelle und skalierbare Wertschöpfung durch den Einsatz kleiner und mittelgroßer, oft szenarienbasierter KI-Modelle. Dabei ist H20 ein wichtiger Baustein und Beschleuniger. H20 ist gut und verlässlich für viele Anwendungen im E-Commerce, bei Infrastruktur, Produktion, medizinischen Versorgung oder auch in den Bildungssektoren. China scheint überzeugt zu sein, dass die raschen und expansiven KI-Anwendungen größere Vorteile bringen werden als die Nachteile durch eine mögliche Nvidia-Dominanz. Nur so konnte Jensen Huang Akzeptanz bei den Entscheidern in Peking finden, wissend, dass China die eigene Forschung und Entwicklung unabhängig davon vorantreiben will.

Übrigens, der globale KI-Wettbewerb hängt auch entscheidend von Stromkapazität ab. Hier hat China sich einen substanziellen Vorsprung gegenüber den USA erarbeitet. Die Überwindung des technologischen Rückstands zu den US High-End Chips wird allerdings nicht dadurch einfacher, wenn chinesische Kunden demnächst wieder vermehrt zu H20 greifen. Allerdings berichteten Taiwans Medien am 19. Juli, dass NVIDIA so viele H20 gar nicht liefern können. Denn auch die H20 werden von TSMC in Taiwan produziert. Nach Trumps Exportverbot im April sei sämtliche frei gewordene Produktionskapazität längst anderweitig vergeben worden, hieß es.   

Unter all den Einwänden gegen den H20-Import fiel in China monatelang nirgends das Wort „Sicherheitsrisiko“. Bis zum 21. Juli. Jensen Huang war gerade abgereist. Dann meldete sich das Nationale Sicherheitsministerium über seinen offiziellen Weibo-Kanal mit einer später landesweit verbreiteten Warnung zu Wort: Ausländische Chips könnten „Hintertüren“ enthalten und ein ernstes Sicherheitsrisiko darstellen. Namen oder konkrete Fälle wurden nicht genannt. „Was für einen Zufall,“ kommentierten etliche Online-Nutzer. „Eine überfällige kalte Dusche,“ schrieben die anderen. 

Jensen Huangs Gegner sitzen jedoch nicht allein in China. Ein Tag später, am 22. Juli, veröffentlichte die New York Times an prominenter Stelle einen Podcast mit dem Titel: “Why Trump Just Gave China the Keys to A.I.’s Future”. Anlass der recht einseitigen Kritik, die wie erwartet in Washington parteiübergreifenden Applaus bekam: die Freigabe von H20.

Jensen Huang hat also eindrucksvoll eine Runde gewonnen. Es war allerdings ein Sieg in der großen geopolitischen Zwickmühle.

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