Die Tage, in denen hintereinander die aktuellen Nobelpreisträger bekannt gegeben wurden, sind vorüber. Und wieder war weder eine Chinesin noch ein Chinese unter den Laureaten. Früher, als China noch ein rückständiges Land war, wurde das in China klaglos zur Kenntnis genommen. Doch heute, wo China zu einer Technologiemacht aufgestiegen ist, mehren sich die Stimmen, die nicht mehr einsehen wollen, warum die Chinesen bei der Vergabe von Nobelpreisen stets außen vor bleiben. Diese Diskussion hat in den Oktober-Wochen, in denen sukzessive die neuen Preisträger bekanntgegeben wurden, vor allem in den sozialen Medien zugenommen.
Der Wissenschaftsjournalist Stephen Chen hat die Stimmung in einem Newsletter der South China Morning Post aufgegriffen. Die Überschrift seines Blog lautet: „Chinese are asking not just who wins the Nobel Prize, but who decides.” Eine wachsende Zahl von Chinesen stellte sich die Frage: “Why should the Royal Swedish Academy of Sciences be the ultimate authority on humanity’s greatest scientific achievements?” Viele unterstellen dem Nobelpreis-Komitee, China zu diskriminieren. Es mischen sich auch nationale Töne in die Diskussion, vor allem weil dieses Jahr wieder zwei Japaner den Nobelpreis bekommen haben (Shimon Sakaguchi/Medizin, Susuma Kitagawa/Chemie). In Guancha.com wird kommentiert: „Japan wins Nobel Prizes, but China is richer and better at poaching talent”. Es gibt aber auch Stimmen, die meinen, dass die Nobelpreise überschätzt werden. So schreibt die Beijing Daily: Whether or not we win Foreign Awards is not indicative for China’s progress.” Im Internet wundert sich ein Teilnehmer, warum China sich wundert, dass es keinen Nobelpreisgewinnt. Laut China Digital Times fragt er: „How can a country that blocks the Nobel Prize Website hope to win a Noble Prize?”
Tatsache ist, dass China sehr wenig Nobelpreisträger hat. Die letzte Preisträgerin war Tu Youyou, die 2015 den Preis für Medizin bekam. In den zehn Jahren danach hat China keinen einzigen Nobelpreis mehr erhalten, die USA hingegen 63. Über diese Ungleichheit wundern sich nicht nur die Chinesen, sondern auch neutrale Beobachter wie die Chefredaktion der Wissenschaftszeitschrift Nature. In einem Editorial schrieb sie: „The country (China) hosts seven of the world’s top ten institutions as ranked by their contributions to natural – and health-sciences journals, tracked by the Nature Index database. So far, only ten Chinese-born or Chinese-heritage scientists have won a science Nobel Prize.”
Markku Larjavaara (University of Helsinki, davor Beida), macht sich in The Diplomat Gedanken, warum das so ist. Er schreibt: „Nobel Prizes are often awarded for work performed decades earlier.” Und vor Jahrzehnten seien die chinesischen Wissenschaftler eben noch nicht so weit gewesen. Aber für Larjavaara reicht diese Erklärung nicht aus: „The time lag cannot explain most of the difference.“ Er sieht den Grund, warum China hinterherhinkt, vor allem im Bildungs- und Forschungssystem des Landes: „I argue the current Chinese education and science cultures and policies are not building a curiosity-driven intrinsic motivation among Chinese scientists and are therefore not conductive to game-changing research.“ Erst, wenn sich das ändert, könne China mit Nobelpreisgewinnern rechnen.
So lange will der Kolumnist der Asia Times, Han Feizi, nicht warten und präsentiert gleich einen Vorschlag für den nächsten Nobelpreisträger für Wirtschaft: Zhu Rongji. Er war von 1998 bis 2003 chinesischer Ministerpräsident und gilt als wichtigster Reformer der chinesischen Wirtschaft. Han Feizi – ein Pseudonym, bei dem nicht so recht klar ist, wer sich dahinter verbirgt – zitiert bei seinem Plädoyer einen gewichtigen Kronzeugen: den britischen Wirtschaftshistoriker Adam Tooze (Columbia University). Dieser sei auch für eine solche Ehrung, „because China’s growth has been the most profound economic story of our lifetime”. Will das Nobelpreis-Komitee dem Vorschlag folgen, muss sich allerdings sputen: Zhu Rongji ist schon 96 Jahre alt.
Info:
Artikel von Markku Larjavaara in The Diplomat: https://thediplomat.com/2025/10/when-will-china-begin-earning-nobel-prizes-in-science/
Artikel von Han Feizi in Asia Times: https://asiatimes.com/2025/10/cmon-nobel-committee-zhu-rongji-is-96-do-the-right-thing/
China Digital Times: https://chinadigitaltimes.net/2025/10/translations-how-can-a-country-that-blocks-the-nobel-website-hope-to-win-a-nobel-prize/