Am Morgen des 20. Oktober versammelten sich 315 chinesische Parteifunktionäre in der Konferenzhalle auf der ersten Etage des Jingxi-Hotels in Beijing. Das zu Mao-Zeiten gebaute Hotel ist stets der Ort, wenn sich das Zentralkomitee (ZK) der KP Chinas zu wichtigen Sitzungen trifft. Und diesmal stand wieder eine solche an – das ZK versammelte sich zu seiner vierten Plenumssitzung. Wichtigstes und einziges Thema: die Vorbereitung des 15. Fünfjahresplans für den Zeitraum 2026-2030. Zu Beginn legte Parteichef Xi Jinping einen Arbeitsbericht vor. Xi war Chef der Drafting Group, die seit Januar dieses Jahres an dem neuen Fünfjahresplan arbeitet und nun ein erstes Papier vorlegte. Nach dem Bericht Xis wurden zehn Gruppen gebildet, um diesen Entwurf zu diskutieren. Was dort besprochen wurde und ob dort Veränderungen am Entwurf vorgenommen wurden, blieb mangels Zuhörer geheim. Erst am Schlusstag des Plenums, dem 23. Oktober, erfuhr man mehr. Am Nachmittag dieses Tages tagte nochmals das Plenum des ZK – diesmal in der Bankethalle der Großen Halle des Volkes. Per Hand wurden die „Recommendations of the Central Committee of the Chinese Communist Party for Formulating the 15th Five-Year-Plan for National Economic and Social Development” angenommen. Als alle Hände hoch gingen, schrie Xi Jinping “Adopted” ins Mikrofon. Anhaltender Beifall auf den Rängen. Danach wurde die „Internationale“ gesungen.
Am nächsten Tag, dem 24. Oktober, wurden dann die „recommendations“ in einer Pressekonferenz vorgestellt. Erster Redner war dort übrigens Jiang Jinquan vom Central Policy Research Office im ZK. Er ist ein enger Vertrauter Xi Jinpings, der eher im Hintergrund wirkt und der aber der wichtigste Architekt des neuen Plans ist (siehe CHINAHIRN, 31. Oktober 2024).
Damit zum Inhalt der Empfehlungen, die wichtige Rückschlüsse erlauben, was in den nächsten Jahren von Chinas Führung vor allem in der Wirtschaft zu erwarten ist. Drei Punkte haben Priorität. An erster Stelle steht die Industriepolitik. Es soll weiterhin ein „modernes industrielles System“ aufgebaut werden. Es basiert auf zwei Säulen: der traditionellen Industrie (vor allem Chemie und Maschinenbau) und den „emerging and future industries“ (zum Beispiel Luftfahrt, Biopharma und neue Materialien). Beide Säulen sollen durch den Einsatz von neuen Technologien – allen voran die Künstliche Intelligenz – gestärkt werden. Die Zauberworte heißen „new quality productive forces“. Dieser Slogan kommt in dem Entwurf am häufigsten vor. China, das jetzt schon mit weitem Abstand der weltgrößte Hersteller von industriellen Produkten aller Art ist, wird dadurch noch mächtiger – mit Folgen auch für Europas Industrie, die jetzt schon unter Chinas Überkapazitäten stöhnt: „Overcapacity will very likely remain a recurring feature of China‘s model“, schreibt Alexander Brown (Merics) in einer ersten Analyse.
Den zweiten Schwerpunkt setzt der Plan bei der „scientific and technological self-reliance“. Man will bei den wichtigsten Technologien unabhängig bleiben bzw. werden, insbesondere bei Halbleitern, neuen Materialien, Biotech und Software.
Dritter wichtiger Punkt ist die Steigerung des Konsums, der im Vergleich zu anderen (Industrie-)Nationen weiterhin nur schwach ausgeprägt ist. Aber dieser soll nicht durch Einkommenstransfers oder Verbesserungen im sozialen System ermöglicht werden, sondern indirekt durch das industrielle Up-Grading (siehe den ersten Punkt) erfolgen. Die chinesischen Planer gehen dabei von folgender simpler Wirkungskette aus: Produktivere Firmen sind profitabler, können deshalb höhere Löhne bezahlen, was wiederum zu mehr Konsum führt. Ob das so eintreten wird, bezweifeln westliche Ökonomen. China-Kenner Stephen Roach (früher Asien-Chef der Investmentbank Morgan Stanley) schlägt in einem aktuellen Beitrag für Project Syndicate („China Needs a Consumption Target“) vor, dass sich Chinas Regierung vielmehr ein klares Ziel setzt: der Konsum soll bis 2035 einen Anteil von 50 Proyent am GDP erreichen. Derzeit sind es einiges unter 40 Prozent.
In den nächsten Monaten wird es sicher noch einige marginale Änderungen am jetzt vom ZK verabschiedeten Entwurf des 15. Fünfjahresplans geben, aber die Forderung von Roach wird sicher keine Berücksichtigung finden. Beim Nationalen Volkskongress im Frühjahr 2026 soll dann der Plan verabschiedet werden.
Info:
Offizielles Kommuniqué: https://english.www.gov.cn/news/202510/23/content_WS68fa3825c6d00ca5f9a06fbe.html
Explanations of the Recommendations: https://www.globaltimes.cn/page/202510/1346772.shtml?utm_source=substack&utm_medium=email
Recommendations : https://english.www.gov.cn/news/202510/28/content_WS6900adb9c6d00ca5f9a07216.html
Hier eine Kommentierung durch Merics-Autoren in China Essentials: https://merics.org/sites/default/files/2025-10/15%202025_MERICS%20China%20Essentials%20EN.pdf
Und hier eine Zusammenfassung von China Briefing: https://www.china-briefing.com/news/chinas-15th-five-year-plan-recommendations-key-takeaways-for-foreign-businesses/
Hier der Vorschlag von Stephen Roach: https://www.project-syndicate.org/commentary/china-five-year-plan-must-set-target-for-household-consumption-as-share-of-gdp-by-stephen-s-roach-2025-10?utm_source=Project+Syndicate+Newsletter&utm_campaign=93f952ed1e-Economics%E2%80%93Newsletter_2025_10_30&utm_medium=email&utm_term=0_-872b6a5c7d-107895001