Ich muss gleich zu Beginn eine Erklärung abgeben: Ich kenne die beiden Autoren gut, bin also kein objektiver Rezensent. Solange ich noch in Berlin lebte, trafen wir uns öfters im chinesischen Restaurant „Lao Xiang“ im nördlichen Prenzlauer Berg. Ich fuhr mit der Straßenbahn dorthin, die beiden kamen stets – auch bei Wind und Wetter – mit dem Fahrrad. Die beiden nutzten jede Minute, um für ihr gemeinsames Megaprojekt zu trainieren: Die knapp 7000 Kilometer lange Strecke des Langen Marsches mit dem Fahrrad abstrampeln. Der Lange Marsch gehört zum Gründungsmythos der Volksrepublik China. Ohne Langen Marsch kein Mao, ohne Mao keine Volksrepublik. Und an diesem Marsch nahm auch ein Deutscher teil, der hierzulande kaum bekannt ist: Otto Braun, der damals von der Komintern eingeschleust wurde und zumindest zu Beginn des Langen Marsches eine sehr wichtige Rolle spielte, ehe Mao ihn kaltstellte. Im Mittelpunkt stehen natürlich die beiden Radfahrer, die eine Haßliebe verbindet: Christian, der akkurate und asketische Ostwestfale, der sich selbst als Mr. Worstcase tituliert, weil er immer mit dem Schlimmsten rechnet Volker, der barocke Franke, der meist Optimismus ausstrahlt und damit den Skeptiker Schmidt nervt. Aber dem peniblen Schmidt verdanken wir eine Liste dessen, was den beiden auf ihrer Monate langen Reise passiert ist: „An 98 Orten übernachtet, 26mal hatten die Räder einen Platten, 14mal sind die Ketten abgesprungen, 15mal von der Polizei auf der Straße und im Hotel kontrolliert, 34mal haben Volker und ich uns gestritten.“
Aber dieses Buch ist weitaus mehr als nur die Beschreibung einer Abenteuerreise zweier älterer Herren. Es ist gleichzeitig auch ein Buch über Chinas jüngste Geschichte (eben Maos Langen Marsch) und über das heutige China. Ihre Reise führte sie unter anderen durch Provinzen, die als mehr oder weniger rückständig gelten: Jiangxi, Guangxi, Guizhou, Gansu und Ningxia. Da beide Autoren schon vor Jahren dort unterwegs waren, konnten sie vergleichen und dabei feststellen, wie sich auch das ländliche China zum Positiven verändert hat.
Wer ein unterhaltsames Buch abseits der großen aktuellen Politik über China lesen will, sollte zu diesem Buch greifen und bequem als Coach Potato die beiden auf ihrer knapp 7000 Kilometer langen Reise begleiten.
P.S.: Ich vermute, ich hätte diese Rezension auch so geschrieben, wenn ich die beiden Autoren nicht gekannt hätte.
Info:
Christian Y. Schmidt, Volker Häring: Der lange Fahrradmarsch, Ullstein, 364 Seiten, 24 Euro.