Ordos ist das Zentrum der Kohleindustrie in der Inneren Mongolei und entsprechend hässlich. Als in den 90er Jahren das Kohlegeschäft boomte, wollte die Stadtverwaltung der 2,2-Milliopnen-Stadt an diesem tristen Bild etwas ändern. In einem Anflug von Größenwahnsinn wurde ein neuer supermodernen Stadtteil geplant – in Kangbashi entstand vor 20 Jahren eine futuristische Satellitenstadt mit Stadien, Museen, Einkaufsmalls und vielen schicken Wohnungen. Auf dem 32 Quadratkilometer großen Gelände sollten knapp eine Million Menschen ein neues, teures Zuhause finden. Nur wollte niemand dorthin ziehen. Die Wohnungen waren viel zu teuer, Arbeitsplätze gab es dort auch nicht (mehr), weil der Kohleboom angesichts der Forcierung von erneuerbaren Energien ein jähes Ende fand. Viele Projekte – die Rede ist von 70 Prozent der Immobilien – wurden nicht zu Ende gebaut. Nur rund 130 000 Menschen wohnen in dem Bezirk. So entwickelte sich der Ordos-Ortsteil Kangbashi zu einer Geisterstadt. Die einzigen, die nach Ordos pilgerten, waren Journalisten, Fotografen und Dokumentarfilmer, die Kangbashi als steinernes Dokument der Immobilienkrise anprangerten.
Doch inzwischen kommt Leben in diese Geisterstadt. Es ziehen aber nicht massenhaft Chinesen in die leerstehenden Apartments und Wohnungen. Nein, das neue Leben spielt sich auf den Straßen ab. Dort fahren immer mehr Autos und Lastwagen auf den breiten Alleen umher. In ihnen sitzen – welch Ironie – auch keine (oder nur selten) Menschen. Denn Kangbashi hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Mekka von Firmen entwickelt, die sich dem Thema Autonomes Fahren widmen. Rund ein Dutzend haben sich dort zu Testzwecken niedergelassen, schreibt Kinling Lo in einem Beitrag für Rest of the World. Er hat sich dort umgesehen und beschreibt die Wandlung Kangbashis „from property disaster to tech testing ground“. Die Städteplaner machten aus ihrer Not eine Tugend und gaben 355 Kilometer Straßen für Tests frei. Sie installierten an den Straßenrändern über 2500 der nötigen Geräte wie Laserradar, die zum Datenaustausch nötig sind. Obwohl viele chinesische Städte Teststrecken fürs autonome Fahren zur Verfügung stellen, so konsequent wie Kangbashi macht es keine: Alle öffentlichen Straßen sind für Testfahrten freigegeben. Im vergangenen Jahr ernannte das Ministerium für Industrie und Informationstechnologie (MIIT) die Stadt als „a national pilot city for vehicle-road-cloud integration“.
Auf den Straßen fahren Robotaxis, Busse und vor allem viele Lastwagen. KargoBot – ein Tochterunternehmen von Didi – testet bereits seit 2021 in Ordos. Über 300 Brummis von KargoBot sind dort unterwegs. Wang Ke, Vice President von KargoBot, erklärt gegenüber Rest of the World: „Ordos is big, but not overly massive. It also has one-sixth of all of China’s coal reserves, which provides am industrial setting for us to test our vehicles.” KargoBot testet dort auch das Konvoi-Fahren. Nur noch im ersten Wagen des Konvois fährt zur Sicherheit ein Fahrer mit, die folgenden Wagen sind hingegen fahrerlos. Über 15 Millionen Kilometer sind die Konvois schon in Ordos gefahren. KargoBot ist mit diesen Bedingungen so zufrieden, dass es sogar sein globales Forschungszentrum inzwischen nach Ordos verlagert hat,
Neben KargoBot testen auch Unternehmen wie Huawei, TagoreTech, GAC Group, King Long, moyoAI, Tsingcloud und WeRide in Ordos. WeRide – neben Baidu bei Robotaxis am weitesten entwickelt – ist seit 2023 in Ordos unterwegs. Allerdings hat das Modell Kangbashi auch seine Grenzen. Weil es dort keine rush hour gibt, ebenso wenig Radfahrer und Fußgänger, können viele Streßsituationen nicht simuliert werden. Aber immerhin kam so etwas Leben in die Geisterstadt.
Info:
Hier der Artikel in Rest of the World: https://restofworld.org/2025/china-ordos-ghost-city-autonomous-vehicles/