China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn Letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird jemand vorgestellt, der an der Schwelle zur Old China Hand ist: Anne Brennig (40).
Wir sitzen im sogenannten Porzellan-Zimmer des Freiburger Konfuzius-Instituts. An drei Seiten des Raumes stehen Vitrinen prall gefüllt mit diversen chinesischen Kunstobjekten: von Porzellan, Jadefiguren und Elfenbeinschnitzereien über Lackarbeiten. „Diesen Querschnitt des kunsthandwerklichen Schaffens zur Zeit der Qing-Dynastie hat uns der aus dem Schwarzwald stammende Sammler Otmar Kurrus hinterlassen“, sagt Anne Brennig. Sie ist Geschäftsführende Direktorin des Instituts, das mitten in der Freiburger Innenstadt liegt.
Seit 2010 arbeitet Brennig im Institut, seit 2016 ist sie die Geschäftsführerin. So umstritten die Konfuzius-Institute im Rest der Republik auch sein mögen, hier im äußersten Südwesten des Landes ist das Institut eine geachtete und in der Kommune integrierte Institution, was auch ein Verdienst von Anne Brennig ist. Sie in Freiburg aufgewachsen und kennt damit Gegend und Mentalität ihrer alemannischen Landsleute bestens.
Wie sie denn zu China gekommen sei, will ich zu Beginn wissen. „Oh, das ist gar nicht so einfach zu erklären“, antwortet sie. Es habe keine Schlüsselerlebnisse, keine Wow-Momente, keine Mentoren gegeben, die sie für China begeistern ließen. Erste Annäherungen an Ostasien erfuhr sie durch das Blumengeschäft ihrer Mutter. „Dort waren jährlich japanische Gruppen für mehrwöchige Blumenkurse zu Gast“, erinnert sie sich,“ sie interessierten sich für die deutsche Blumenkunst. So ist die Affinität zu Asien entstanden und auch viele Freundschaften, die bis heute bestehen.“
Aber nach dem Abitur, das sie im Frühsommer 2004 abschloss, ging sie erst einmal zu einem dreimonatigen Volontariat nach New York in eine Kosmetikfirma. Danach begann die sprachbegabte Brennig (sie spricht Englisch, Französisch, Italienisch und Chinesisch) ein Lehramtsstudium – Deutsch, Erziehungswissenschaften und Französisch. Doch schon bald merkte sie: „Ich bin für den Lehrerberuf nicht geeignet.“ Nach einem Jahr stieg sie aus dem Studium aus. Und nun? Mit einer Freundin begann sie in Heidelberg Ostasienwissenschaften mit dem Schwerpunkt Sinologie und dem Nebenfach Japanologie zu studieren. In Heidelberg ist ja für Sinologen vor dem eigentlichen Studium ein einjähriges Propädeutikum zum Erlernen der chinesischen Sprache vorgeschaltet. „Das war schon wahnsinnig“, sagt sie. Doch wer das überlebt, gibt so schnell nicht auf. Brennig zog das Studium durch. Während des Studiums war sie in China, genauer an der Fremdsprachenuniversität (BFSU) in Beijing. Das war 2007 bis 2008. Es war die Zeit unmittelbar vor den Olympischen Sommerspielen. Brennig gehörte auch zum Team Olympia. Sie half an Infoständen mit und brachte chinesischen Volontären der Olympiade Englisch bei. „Es war eine Zeit des Aufbruchs: Alle haben sich damals gefreut“, erinnert sie sich.
Nach dem Studium kehrte Anne Brennig nach Freiburg zurück und fing im Sommer 2010 beim Konfuzius-Institut an der Universität Freiburg an. Das Institut wurde ein Jahr zuvor gegründet. Als Partner fungierten die Stadt Freiburg (damals noch vertreten durch die FWTM), die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg sowie die Nanjing Universität. So ist es bis heute geblieben, was sich auch in der personellen Besetzung des Vorstands niederschlägt. Brennig pflegt ebenso die Kontakte zu den örtlichen Honoratioren und Institutionen. „Wir versuchen bei Veranstaltungen immer mit lokalen Partnern zu kooperieren,“ sagt Brennig. So fand zum Beispiel ein Vortrag über „Chinesisches Theater heute“ im Freiburger Wallgraben Theater statt.
Besonders intensiv und wichtig ist der Kontakt zu Schulen im südbadischen Raum. Viele bieten Chinesisch-AGs an, an zwei Gymnasien (in Staufen und St. Blasien) existiert ein Konfuzius-Klassenzimmer. Und dann gibt es noch das Ostercamp für Schülerinnen und Schüler in China. „Das ist ein Herzensprojekt von mir“, sagt sie, „Brücken zu schlagen ist eine zentrale Aufgabe unserer Arbeit“. Junge Menschen zwischen 14 und 18 Jahren fliegen für zwei Wochen nach China, treffen dort unter anderem auf chinesische Schülerinnen und Schüler, besuchen Firmen und Bildungseinrichtungen. Fünfmal war sie selbst als Betreuerin dabei. Sie weiß deshalb, wie wertvoll ein solch persönlicher Austausch ist, auch um mögliche Vorurteile abzubauen.
Wie reagiert sie auf den Vorwurf der Indoktrination, der immer wieder gegen die Konfuzius-Institute erhoben wird? „Unser Ziel ist es, durch unsere Veranstaltungen ein vielseitiges und differenziertes Bild Chinas zu vermitteln. Das Programm in Freiburg gestalten wir eigenständig“, betont sie. „Kultureller Austausch sollte auch kontroverse Themen nicht ausklammern, sondern Raum für offene Diskussionen bieten.“
Gerade haben sie und ihr Team das neue 60 Seiten(!) starke Programmheft für den Zeitraum September bis März veröffentlicht. Es ist ein vielfältiges Programm, das von den obligatorischen Chinesisch-Sprachkursen über Lehrerfortbildung, Tandempartys und Kinoabende bis hin zu wissenschaftlichen Vorträgen & Lesungen sowie Koch-Workshops reicht. Klar, dass spätestens jetzt die Frage kommen muss, welche chinesische Küche sie am liebsten mag. „Ich liebe die Sichuan-Küche“, sagt sie, „und besonders das zweifach gegarte Schweinefleisch.“ Weil es vom nahen Münster gerade 12 Uhr geschlagen hat, liegt eine weitere Frage sozusagen auf der Zunge: Ob wir nicht essen gehen wollen. Badisch? fragt sie. Nein, Chinesisch, sage ich. Sie kenne da was, simpel eingerichtet, aber zumindest etwas authentisch. Wir laufen quer durch die Innenstadt und stehen nicht weit vom berühmten Martinstor vor einem Lokal namens „Pin’s Kitchen“. Viele Chinesen sitzen dort. Es wird gute Sichuan-Küche serviert.
In Freiburg kann man nicht nur gut Chinesisch lernen, sondern auch gut Chinesisch essen.
Dieses Porträt erschien zuerst in der Serie „Hirns Köpfe“ auf der Homepage des China Netzwerk Baden-Württemberg (CNBW). Das gerade fünf Jahre alt gewordene CNBW ist eine Plattform für Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft, die zu einem besseren Verständnis insbesondere zwischen Baden-Württemberg und China beitragen möchte. Mehr unter: https://china-bw.net/de/cnbw