WISSENSCHAFT I „Ich musste es tun“ – Warum die KI-Choryphäe Song-Chun Zhu aus den USA zurück nach China ging

In der vergangenen Ausgabe habe ich ja eine ganze Liste von chinesischen Wissenschaftlern veröffentlicht, die in den vergangenen Wochen und Monaten aus den USA nach China zurückgekehrt sind. Ein sehr berühmter Name war auf dieser Liste nicht dabei, denn er ist schon im Sommer 2020 von Los Angeles nach Beijing gewechselt: Song-Chun Zhu (56). Der Computerwissenschaftler ist „one of the world’s leading authority in Artificial Intelligence“. So stand es in The Guardian, der in diesen Tagen ein sehr interessantes, informatives und gut geschriebenes Porträt über ihn veröffentlichte. Autor Chang Che hat ihn mehrmals in Beijing besucht und mit vielen seiner ehemaligen Weggefährten in den USA geredet, um herauszufinden, warum jemand nach 28 Jahren Forschung an den besten Unis der USA zurück nach China geht. Insofern ist dieser umfangreiche Artikel mehr als nur das Porträt eines berühmten und anerkannten Wissenschaftlers. Er ist auch ein Lehrstück darüber, wie die beiden Supermächte China und die USA mit ihren klügsten Köpfen umgehen, und welchen Stellenwert die Wissenschaft in beiden Ländern hat.

Song-Chun Zhu stammt aus Ezhou, einer Stadt am Yangtse. Sein Vater hatte dort ein Kiosk. In der Schule war er der beste, konnte deshalb in der zweiten Hälfte der 80er Jahre an der USTC in Hefei Computerwissenschaften studieren. „At that time, we saw America as a beacon, a cathedral of science”, sagt er. Er verschlang die wenigen Bücher, die er aus den USA zu lesen bekam. Darunter war „Vision“ des britischen Neurowissenschaftlers David Marr. Seine Vision war auch die von Zhu: „Machines might one day be able to see the world as humans do.” Anfang der 90er Jahre war für ihn klar, dass er in die USA wollte. Er bewarb sich bei vielen Hochschulen dort und kassierte viele Absagen bis er eines Tages per Post einen dicken gelben Brief erhielt. Absender: Harvard University. Sie boten ihm eine “full fellowship” an. „It changed my life“, sagt er. Und seine amerikanische Karriere began. Er blieb fünf Jahre in Harvard, und landete nach Stationen in Stanford und der Ohio University schließlich 2002 an der University of California Los Angeles. Dort leitete er „one of the most profilic AI research center in the world”. Er gewann zahlreiche Preise, darunter den Marr Prize, die höchste Auszeichnung im Bereich Computervision. Privat lief auch alles bestens. Mit seiner Frau Jenny, die er an der USTC kennengelernt hatte, hatte er zwei Töchter, die in den USA geboren wurde. Sie hatten eine schöne Wohnung in den Hügeln von LA. Und doch stand er eines Morgens im August 2020 vor diesem Haus mit einem Koffer und einem One-Way-Ticket nach Beijing. Warum? Es gab vor allem zwei Gründe. Erstens wurde das Klima in den USA gegenüber chinesisch-stämmigen Wissenschaftler rauer. Und zweitens lockten ihn seine chinesischen Landsleute mit besten Arbeitsbedingungen: „They are giving me resources that I could never get in the United States. If I want to make this system that I have in my mind, then this is a once in a lifetime opportunity. I have to do it.”

Zhu bekam eine Professur an der Peking Universität (Beida) und einen wunderschönen Arbeitsplatz an einem See auf der Nordseite des Beida-Campus. Außerdem richtete ihm die Staat Beijing ein Institut ein – das Beijing Institute for General Artificial Intelligence (BigAI). Autor Chang Che schreibt, dass Zhu in den vergangenen fünf Jahren mehrere 100 Millionen Dollar an Forschungsgeldern erhalten haben soll. Zhu selber will das nicht bestätigen. Er bestätigt aber, dass er sich in Beijing wohl fühle und dort an der Vision arbeiten könne, die einst sein Vorbild David Marr ausgab: Eine Maschine mit menschlichen Fähigkeiten zu entwickeln.

Info:

Hier das sehr umfangreiche Porträt von Song-chun Zhu in The Guardian: https://www.theguardian.com/news/ng-interactive/2025/sep/16/song-chun-zhu-why-one-of-the-worlds-most-brilliant-ai-scientists-left-the-us-for-china

No Comments Yet

Comments are closed