POLITIK I Indien nähert sich China an, bleibt aber in gewisser Distanz

Am 17. Juni bekam Indiens Präsident Narendra Modi einen Anruf von Donald Trump. Dieser forderte Modi auf, er solle ihn, also Trump, zum Friedensnobelpreis vorschlagen. Schließlich habe er, Trump, doch den Konflikt zwischen Indien und Pakistan nach dem Überfall pakistanischer Terroristen in Kaschmir Ende April beendet. Und wo und wann Modi die Lobeshymne auf den Friedensstifter Trump verkünden sollte, wusste Trump auch. Auf der Rückreise vom G7-Gipfel in Kanada sollte Modi in Washington vorbeischauen. Modi weigerte sich, weil er das mit der friedensstiftenden Rolle im Kaschmir-Konflikt ziemlich anders sieht.  Und überhaupt: ein stolzer Modi lässt sich nicht von Trump herumkommandieren. Daraufhin war Trump beleidigt und verkündete wenige Tage später saftige Zollerhöhungen von 50 Prozent auf indische Waren. Modi schluckte, blieb aber hart, lehnte Verhandlungen ab, nahm über Wochen nicht mal den Hörer ab, als Trump ihn mehrmals anrief.

Es herrscht Eiszeit zwischen Indien und den USA. Trump hat also einen wichtigen Partner verärgert, der vom Westen als wichtiger Gegenpol zum mächtigen China gesehen wird. Die USA und auch die Europäer (die erste Asienriese von Friedrich Merz wird übrigens im Herbst nach Indien führen) umgarnen deshalb seit Jahren Indien, das sie stets als größte Demokratie der Welt bezeichnen und dabei großzügig über die Defizite dieser Demokratie (Korruption, Frauenfeindlichkeit) hinwegsehen.

Und nun das Zerwürfnis zwischen den USA und Indien. Der berühmte Kolumnist Fareed Zakaria bezeichnet Trumps Zollpolitik gegenüber Indien in der Washington Post „the biggest foreign policy mistake of Trump 2.0”. Alyssa Ayres (George Washington University) schreibt in einer Analyse des CFR: „People wonder why the United States has been cooperatively building a strong strategic partnership with India for decades, would suddenly treat its close strategic partner worse than some of its toughest competitors.”

Denn Modi wendet sich nicht nur vom Westen ab, sondern zu einem anderen Land hin – zu China. Eine Annäherung, die sich allerdings schon vor Trumps Tiraden abzeichnete. Bereits beim BRICS-Gipfel im Oktober 2024 im russischen Kasan trafen sich Modi und Xi nach Jahren zu einem ersten Gespräch. Aber nach dem Zerwürfnis mit den USA intensivierte Chinas Führung die Bemühungen um Indien. Mitte August reiste Chinas Außenminister Wang Yi für zwei Tage nach Delhi. Wang war zuletzt im April 2022 in Delhi. Damals wurde er eher brüsk behandelt. Doch diesmal wurde er entgegen dem üblichen Protokoll sogar von Modi empfangen. Bei Wangs Gesprächen wurde auch der Besuch Modis beim SCO-Gipfel vorbereitet, der nun am 31. August und 1. September stattgefunden hat. Es war der erste Besuch Modis in China seit sieben Jahren.

Wie ist diese Begegnung Modis mit Xi zu werten? Der Inder Manoj Kewalramani gilt als einer der besten Kenner der chinesisch-indischen Beziehungen. Er schreibt, er habe keine großen Erwartungen an das Gipfeltreffen gehabt. Er sieht das Treffen als weiteren Teil eines Prozesses von graduellen Veränderungen, die seit Oktober 2024 (dem Kasan-Treffen) zu beobachten seien. Ähnlich argumentiert Ivan Lidarev (Institute of South Asian Studies, Singapur). Er schreibt, dass Treffen Modi-Xi sei mitnichten ein „milestone“ gewesen, sondern eher ein „return to normal“ in der indischen Aussenpolitik.  

Beide Seiten hätten in ihren Readouts nach dem Treffen betont, „that there has been positive progress since the Kasan meeting“, schreibt Kewalramani. Das sei zunächst einmal “a good thing“, kommentiert er. Beide sagen, sie seien Partner, und keine Rivalen. Das sei insofern bemerkenswert, weil Indien dies beim letzten Treffen in Kasan noch nicht so sah. Unterschiede gibt es in der Einschätzung der politischen Architektur der Welt. China propagiert eine multipolare Welt, Indien fordert dies auch, aber eben auch ein multipolares Asien und wendet sich damit gegen den Führungsanspruch Chinas.

Der Sinologe-Professor Björn Alpermann (Uni Würzburg) sieht beide Staaten auch weiterhin „eher als Rivalen statt als Partner“. Das sagte er in einem ARTE-Interview. Denn an den grundlegenden Problemen in ihren Beziehungen habe sich nichts geändert. Vor allem bei den Grenzstreitigkeiten weiche keine Seite von ihren Gebietsansprüchen ab. Er sieht folglich „keinen Wechsel Indiens aus dem US-geführten demokratischen Lager in ein China-dominantes anti-westliches Camp“.

Etwas anders sieht es Jim O‘Neill, ehemaliger Investmentbanker bei Goldman Sachs, der einst den Begriff BRIC (damals bestehend aus den vier Staaten Brasilien, China, Indien und Russland) prägte. Er hält eine Annäherung zwischen China und Indien vor allem im Rahmen der BRICS-Staaten durchaus für möglich. In einem Artikel für Project Syndicate fragt O‘Neill eher rhetorisch: „Is Trump a BRICS Secret Agent“? Trump treibe Indien in die Arme Chinas und stärke damit den BRICS-Verbund: “If only China and India could find a way to look past their differences and develop stronger ties, that would be a game-changer for the BRICS+, not to mention for Asian and even global trade.”

Aber Indien – und dies ist die wahrscheinlichste Variante – lässt sich von niemandem vereinnahmen. Geschickt versucht sich Indien schon seit Jahrzehnten mit allen Großmächten gut zu stellen. Das Land, das in den 50er Jahren ein engagiertes Gründungsmitglied der blockfreien Bewegung war, laviert seit dieser Zeit relativ erfolgreich zwischen allen Blöcken. Das zeigt ein Artikel von Ashley J. Tellis (Carnegie) in der aktuellen Foreign Affairs-Ausgabe. Darin kommt er zu dem Schluss: “But those hoping for a boundless friendship will be disappointed. Despite its weaknesses, India will not settle for any alliance with the United States, and there will be limits on their partnership. That is because India does not want to be part of any collective defense arrangements. Instead, it will zealously guard its nonallied status.“ Ganz in diesem Sinne fuhr Modi, bevor er nach China kam, erst mal nach Japan.

Info:

Analyse von Manoj Kewalramani (darin auch Links zu den Readouts der beiden Aussenministerien nach dem Treffen Modi-Xi): https://substack.com/home/post/p-172389767

Artikel von Ashley J. Tellis in Foreign Affairs: https://www.foreignaffairs.com/responses/what-kind-great-power-will-india-be

Artikel Jim O’Neill in Project Syndicate: https://www.project-syndicate.org/commentary/trump-trade-war-alienating-friends-and-going-easy-on-adversaries-by-jim-o-neill-2025-08

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