In den vergangenen Tagen stand ausnahmsweise mal nicht die US-Hauptstadt Washington im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit, sondern die chinesischen Städte Tianjin und Beijing, die nur rund 100 Kilometer auseinanderliegen. Dort trafen sich die Führer von Staaten, die alle aus der nicht-westlichen Welt stammen. Erst auf dem Gipfel der Shanghai Corporation Organisation (SCO) in Tianjin, dann am 3. September bei der großen Parade zur Feier des Zweiten-Weltkrieg-Ende in China vor 80 Jahren. Der SCO-Gipfel wurde von der chinesischen Führung so gelegt, dass viele Staats- und Regierungschefs aus Tianjin gleich nach Beijing weiterreisen konnten. Einige taten das sogar mit dem Hochgeschwindigkeitszug. Interessant, wer nicht nach Beijing weiterfuhr: Modi (Indien), Erdogan (Türkei) und Madbouly (Ägypten).
In Erinnerung bleiben von den zwei Spektakeln vor allem zwei Fotos: In Tianjin das händchenhaltende Trio Modi, Putin und Xi. In Beijing der Aufmarsch des Trios Kim, Putin und Xi auf dem Weg zur Tribüne vor dem Platz des Himmlischen Friedens. War also alles nur eine große, gut initiierte Show? Oder war das alles der Beginn eines „neuen, antiwestlichen Bündnisses“ wie DIE ZEIT orakelt?
Der Reihe nach. Zunächst zum Gipfel der Shanghai Corporation Organisation (SOC). Sie wurde 2001 gegründet, dümpelte aber in den folgenden Jahren so vor sich hin. Eric Olander (China-Global South-Project) schreibt: „SCO war a largely ineffective body that’s going to change as the memberships expands and Xi backs the SCO with development finance money.” Und CFR-Präsident Michael Froman pflichtet ihm bei: „This year was different: it appeared that the SCO makes a a major step forward.“ Inzwischen umfasst die SCO in der Tat 26 Länder, die allerdings jeweils einen unterschiedlichen Status haben: Zehn Mitgliedsländer, 14 Dialogpartner und zwei Beobachter. Xi Jinping sagte deshalb stolz in Tianjin: „The SCO has grown into the world´s largest regional organization. It’s international influence and appeal are increasing day by day.” Dazu trägt auch Donald Trump bei. Der indische Analyst Manoj Kewalramani sagte gegenüber der Süddeutschen Zeitung: „Kaum jemand vertraut Washington, davon profitiert die SCO.“
Wichtigstes Ergebnis in der Tianjin Declaration war: Die SCO bekommt eine eigene Development Bank. Eine solche haben die BRICS-Staaten schon länger. Der BRICS-Verbund ist mit zehn Mitgliedsstaaten etwas exklusiver als die SCO, doch auch dieser Staatenbund wächst und die Überschneidungen mit der SCO nehmen ständig zu. Und China, Indien und Russland sind in beiden Verbünden die dominierenden Mächte. Es kann also durchaus sein, dass sich hier ein anti-westliches Bündnis formiert. Ihre Abneigung gegen den Westen, vor allem gegen die USA, ist auch der Kitt, der beide Organisationen zusammenhält. Sie haben “a shared goal of breaking the West’s de facto monopoly over global governance”, schreibt Andrew Korybko, ein amerikanischer Politanalyst in Moskau, in der Asia Times (3. September). Aber Korybko schreibt auch, dass sowohl die SCO als auch die BRICS heterogene Gebilde sind: „They comprise highly diverse members who can realistically agree on broad areas of cooperation. Even then, agreements are strictly voluntary and carry no legal binding.”
Das SCO-Treffen kann man als gelungenes diplomatisches Manöver von Xi Jinping bezeichnen. Jedenfalls hat kein SCO-Summit bislang so viel Aufmerksamkeit erzeugt. Nadine Godehardt (Stiftung Wissenschaft und Politik) wundert sich: ich kann mich nicht erinnern, dass überhaupt mal so intensiv in den deutschen Medien zur SOZ berichtet wurde.“
Freilich noch intensiver wurde dann über das zweite große Event berichtet: Die Feierlichkeiten zum Kriegsende am 3. September vor 80 Jahren. Am meisten wurde über die Anwesenheit des nordkoreamischen Präsidenten Kim Jong-il berichtet, der mit dem Zug aus Pyönggang kam und gleich fünf Tage in Beijing bliebt. Es war der erste Besuch einer Militärparade durch nordkoreanischen Präsidenten seit 66 Jahren. Viel weniger beachtet, wurde die Anwesenheit von führenden Politikern fast aller südostasiatischen ASEAN-Staaten. An der Parade vor zehn Jahren hat noch keiner von ihnen teilgenommen.
Rund fünf Milliarden Dollar soll das Spektakel gekostet haben, sagen taiwanesische Quellen. 50 000 ausgewählte Zuschauer durften vor Ort zuschauen. 80 000 Tauben flogen am Ende in den Himmel. Jennifer Parker (UNSW Canberra) urteilt über das Spektakel: „You don’t do a parade like this to commemorate the end of World War two. You do a parade like this to show force.” In der Tat: Hier wurde modernstes Kriegsgerät gezeigt, alle Waffengattungen waren vertreten. Hier zu analysieren, was alles neuem Gerät präsentiert wurde, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Ich verweise auf die Analyse zweier Militärexperten unter Info. Die indische Analystin Anushka Saxena schreibt in ihrer Analyse: „It’s main message was to flex military muscle and display strength in the face of external hostility.” Die gigantische Parade sollte nach außen wie nach innen wirken. Sie sollte dem chinesischen Volk neuen Stolz vermitteln und dem Westen, vor allem den USA, aufzeigen, was China alles aufzubieten hat.
Donald Trump soll das Spektakel live im Fernsehen verfolgt haben. Er ist ja Freund solcher Aufmärsche, auch wenn der amerikanische am 4. Juli vergleichsweise mickrig ausfiel. Erst zwei Tage nach dem Aufmarsch meldete er sich in Truth Social zu den Events in China: „Looks like we‘ve lost India and Russia to deepest darkest China.“ Doch noch am Abend widersprach er sich bereits wieder selbst. In einer Pressekonferenz im Weißen Haus sagte er: „I don’t think we have lost them.“
Info:
Die Rede von Xi Jinping beim SCO Summit in Tianjin: https://english.www.gov.cn/news/202509/01/content_WS68b584acc6d0868f4e8f53c8.html
Hier die Tianjin Declaration: http://en.kremlin.ru/supplement/6376
Rede von Xi Jinping anläßlich der Parade am 3. September: https://english.cctv.com/2025/09/05/ARTIBslIPwuRthKnZhjqTUIg250905.shtml
Die Parade am 3. September in voller Länge bei CGTN: https://www.youtube.com/watch?v=uIAhcAyvIXA
Eine ausführliche Bewertung des gezeigten militärischen Materials im PLA Bulletin von: https://substack.com/home/post/p-172641392 und von Anushka Saxena (Eye on China): https://eyeonchina.substack.com/p/left-right-left